Der Mann, der's wert ist
ich, wenn wir früher bei Angela zu Besuch waren, nie ihre
Spielsachen anfassen durften, aber wir mußten ständig ihre Sachen bewundern.
Sie hatte einen Kaufmannsladen, der ein ganzes Zimmer füllte. Und eine Truhe
randvoll mit Kasperlepuppen. Sie führte ihre Sachen vor und sagte: »Das habt
ihr nicht.«
»Warum hat Angela so viele
Spielsachen und wir nicht?« löcherten wir unsere Eltern nach jedem Besuch. Die
Antwort war jedesmal: »Weil Angela ein Einzelkind ist.« Natürlich wären
Annabell und ich liebend gerne auch Einzelkinder gewesen. Einmal, bei einem
Weihnachtsbesuch — ich war damals vier und Angela sieben —, hat mich Annabell
an Angela verkauft. Ich kostete eine Käthe-Kruse-Puppe. Angela wollte mit mir
spielen, aber Annabell, die mich als ihren Privatbesitz betrachtete, erlaubte
es nicht — ich war schließlich das einzige, was Annabell hatte und Angela
nicht. Als Angela bereit war, mich gegen eine Käthe-Kruse-Puppe zu tauschen,
war Annabell natürlich einverstanden. Ich weiß nicht mehr, was ich damals
empfand, wahrscheinlich war ich auch froh, weil meine neue Besitzerin mehr
Spielsachen hatte.
Als dann unsere Eltern kamen
und verlangten, daß das Tauschgeschäft rückgängig gemacht würde, heulte
Annabell, weil sie lieber die Puppe behalten wollte. Angela heulte, weil sie
mich behalten und ihre Puppe zurückhaben wollte. Am allermeisten heulte ich,
weil — daran kann ich mich genau erinnern — Tante Susi zu ihrer Angela sagte,
es sei dumm, mich gegen die Puppe einzutauschen, die Puppe sei viel schöner,
und die Puppe könne sogar »Mama« sagen. Weil jeder Angela zu überzeugen
versuchte, daß die Puppe viel besser sei als ich, heulte ich verzweifelt: »Ich
kann auch Mama sagen!« Dafür wurde ich furchtbar ausgelacht. Noch Jahre später
wurde die Geschichte erzählt. Damals hatte ich das Gefühl, daß alles, was
Angela hatte, besser war. Noch heute habe ich das Gefühl, daß man alles tun
muß, um Angela zufriedenzustellen. Also rief ich wegen Angelas
Geburtstagsgeschenk auch meine Mutter an, und sie hatte die Idee: Sie hatte
nämlich kürzlich zufällig ein Kinderfoto von Angela gefunden, Angela würde das
Foto nicht kennen, und sie sehe wirklich goldig darauf aus. Meine Mutter
schickte das Foto per Eilboten. Es war ein hübsches Foto. Dazu kaufte ich in
einem Antiquitätenlädchen ein antikes Silberrähmchen für fast hundert Mark.
Benedikt fand auch, Angela ein Foto von Angela zu schenken, sei ein
idiotensicherer Erfolg.
Aber einen Tag nachdem ich das
Rähmchen gekauft hatte, kam Herr Wöltje auf die Idee, die Kollegen sollten
gemeinsam der Tochter des Chefs ein Hermès-Tuch schenken. Das sei das richtige
für Angela, sie wüßte, was ein Hermès-Tuch kostet. Herr Wöltje hatte dieses
Hermès-Tuch im Sommer sehr günstig in einem Duty-free-Shop gekauft, eigentlich
war es für Frau Wöltje gedacht gewesen, aber das stand nun nicht mehr zur
Diskussion, also wollte Herr Wöltje das Tuch loswerden. Und natürlich konnte
Benedikt nicht aus der Reihe tanzen und beteiligte sich an dem Tuch. Folglich
würde ich Angela das Rähmchen allein schenken — so gesehen war das Geschenk ein
bißchen teuer, aber egal. Und Benedikt fand auch, es sei besser so, denn ein
Kinderbild von Angela war ein sehr persönliches Geschenk und hätte die Kollegen
wieder neidisch gemacht auf Benedikts private Beziehungen zum Chef.
Und er mußte aufpassen. Denn
obwohl die Erzählungen aus Benedikts Architektenleben den Eindruck erweckten,
alles sei ganz locker und lässig, gab es ungeschriebene Vorschriften. Zum
Beispiel hatte Onkel Georg Herrn Wöltje gesagt, er und Tante Susi würden sich
freuen, bei Angelas Geburtstagsfest auch Frau Wöltje zu sehen. Damit hätte
Onkel Georg klargemacht, daß Herr Wöltje nicht mit seiner Freundin zu
erscheinen habe. Das fand ich nun ziemlich spießig von Onkel Georg. Aber
Benedikt erklärte, im Geschäftsleben gelte die allgemeine Geschäftsregel, daß
Privatangelegenheiten nur stören. Benedikt gab mir sogar den Rat, zu vergessen,
daß Angela meine Cousine ist - jetzt ist sie die Tochter des Chefs.
Wie sollte ich das vergessen?
Hatte sich Angela in den drei Jahren, seit ich sie das letzte Mal sah, so
verändert?
»Die Situation hat sich
verändert«, sagte Benedikt.
Auf jeden Fall war ich
wahnsinnig gespannt, Angela nächste Woche wiederzusehen.
10.Kapitel
Jeden Nachmittag gegen fünf,
wenn Nora nach ihrer Mittagsruhe aus ihrem Zimmer kam, fragte ich, was ich
einkaufen
Weitere Kostenlose Bücher