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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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sagte Tom. »Schön, Sie zu sehen.«
    »Guten Morgen, Mr Rath«, erwiderte Caesar. »Wir haben Nachrichten von Ginas Mutter bekommen. Es ist komisch – aber ich dachte, es würde Sie interessieren. Sie weiß nicht, wo Maria ist.«
    »Sie weiß es nicht?«
    »Damit meine ich, Maria, Louis und der Junge – die sind irgendwo hin. Sie sind nicht mehr in Rom, jedenfalls nicht da, wo Ginas Mutter sie finden kann. Seit einem Jahr hat sie keinen Ton mehr von ihnen gehört.«
    »Was meinen Sie, was ist passiert?«
    »Keine Ahnung. Es war schon länger sehr hart für sie. Louis war aus dem Krankenhaus raus, aber mit seinem Bein und so hat er keine Arbeit gekriegt. Ginas Mutter hat sie unterstützt, und ich glaube, das war Louis überhaupt nicht recht. Louis ist ein komischer Kerl – sehr stolz.«
    Tom schaute aus dem Fenster. Es fiel ihm schwer, Caesar anzusehen.
    »Ginas Mutter glaubt, sie sind vielleicht nach Mailand, um dort Arbeit zu suchen, und dass sie niemandem gesagt haben, dass sie weggehen, weil sie so viel Geld schuldig waren«, fuhr Caesar fort. »Jedenfalls gibt’s jetzt kein Lebenszeichen von ihnen. Ich dachte, das sollten Sie wissen.«
    »Danke«, sagte Tom.
    »Ginas Mutter hat eine Tante in Mailand, und die hat sie gebeten, nach ihnen zu suchen«, fügte Caesar hinzu. »Sie wird Bescheid sagen, falls sie sie finden.«
    »Da können wir jetzt wohl nicht viel tun«, sagte Tom.
    »Irgendwann tauchen sie wieder auf«, sagte Caesar. »Ganz bestimmt. Gina hat dort eine Menge Verwandte. Louis ist komisch – wenn er Geld verdienen würde, würde er zurückkommen und seine Schulden bezahlen. Und wenn’s ganz schlecht läuft, müsste Maria Verwandte um Hilfe bitten. Früher oder später tauchen sie auf. Ich sag dann Bescheid.«
    »Danke«, sagte Tom.
    »Also, bis dann mal«, schloss Caesar, setzte umständlich die Mütze wieder auf und ging zur Tür hinaus.
    Tom trat ans Fenster. Dann sind sie also verschwunden, dachte er. Ob es so nun endet – ohne ein richtiges Ende und dass ich nie erfahre, was aus ihnen geworden ist. Die tauchen schon wieder auf, hatte Caesar gesagt. Zu seiner eigenen Überraschung hoffte Tom das auch – bald. Was das bedeutete, erschreckte ihn ein wenig, und rasch setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch. Was würde ich wohl tun?, dachte er. Was würde ich tun, wenn ich jetzt wüsste, dass sie hungern müssten, und wüsste, wo ich sie erreichen kann? Ich könnte nichts tun, ohne Betsy etwas zu sagen – wir haben gemeinsame Konten, das Spar- wie das Girokonto, und Betsy hat das Geld viel besser im Blick als ich. Ich könnte ein paar Dollar abheben und mir eine Ausrede einfallen lassen, aber nicht viel und nicht regelmäßig. Und selbst wenn ich es irgendwie schaffen würde, ohne ihr Wissen an das Geld zu kommen, wäre es ihr gegenüber unfair. Ich würde es ihr sagen müssen, dachte er. Ich müsste es ihr sagen und zu Gott beten, dass sie es versteht.
    Wie sagt man seiner Frau so etwas?, fragte er sich. Würde man zu ihr gehen und sagen: »Hör mal, Schatz, es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber während des Krieges …«
    Was würde sie tun? Plötzlich erschien ihm seine Frau als eine völlig Fremde, deren Verhalten er überhaupt nicht vorhersagen konnte. Ich kenne sie gar nicht, dachte er mit einer gewissen Panik, ich kenne meine eigene Frau nicht. Die arme Betsy! Betsy war nie etwas passiert, was ihr irgend helfen könnte, so etwas zu verstehen. Würde sie ihm vorwerfen, unmoralisch zu sein? Würde sie weinen? Würde sie wütend, eifersüchtig sein? Würde sie glauben, dass die ganze Zeit, die sie nach dem Krieg zusammen verbracht hatten, eine Art lebende Lüge gewesen sei, und würde sie die Scheidung wollen? Er konnte sich einfach nicht vorstellen, was sie tun würde – ebenso wenig konnte er sich vorstellen, ihr von Maria zu erzählen. Vielleicht muss ich es ja auch nie, dachte er. Maria ist so vollständig verschwunden, als hätte ich sie weggewünscht. Sie ist nicht mehr da, wenigstens kann niemand sie finden – es ist, als hätte es sie nie gegeben. Ich sollte froh sein, dass Caesar sie nicht finden kann, dachte er, froh und ungeheuer erleichtert. Er legte die Hände vors Gesicht und merkte plötzlich, dass er betete wie ein Kind: Lieber Gott, ich möchte, dass es Maria gut geht.
    Seine Gedanken wurden vom Summen der Sprechanlage unterbrochen. Er schaltete sie an, dann sagte Ralph Hopkins’ fröhliche Stimme: »Guten Morgen, Tom! Sind Sie bereit, mit mir zu Mittag essen

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