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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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fände ich eine gute, ehrliche Stelle bei ihm, mit der ich mir ein anständiges Leben leisten könnte, bei der ich aber nicht Tag und Nacht arbeiten und so tun müsste, als wollte ich so eine Art Tycoon werden. Was könnte ich zu ihm sagen? Könnte ich sagen: Sehen Sie, letzten Endes bin ich eben doch nur ein Neun-bis-fünf-Typ, viel mehr interessiert mich nicht, denn das Leben ist zu kurz, und ich will nicht immerzu auch noch abends und am Wochenende arbeiten? Könnte einer wie Hopkins so etwas je verstehen? Verdammt, dachte Tom, ich bin nicht faul! Gäbe es eine Sache, für die es sich zu arbeiten lohnte, würde mich das nicht so stören. Aber wo ist der große Missionsgeist bei der United Broadcasting? Plötzlich erschien es Tom, dass er sich in eine Lage manövriert hatte, die es nötig machte, Dinge vor seinem Arbeitgeber und auch seiner Frau geheim zu halten – dass beide ihn, kennten sie die Wahrheit über ihn, verlassen würden. Vielleicht bin ich ja deshalb immer so angespannt, dachte er – ich muss immer die Fassade aufrechterhalten. Vielleicht, wenn ich Betsy von Maria erzählen könnte und wenn ich das Gefühl hätte, Hopkins würde verstehen, dass ich nicht wie er in der Arbeit aufgehe, vielleicht wäre ich dann ja lockerer. Es macht einfach keinen Spaß, anderen die Wahrheit vorzuenthalten. Und es ist ihnen gegenüber unfair. Verdammt, ich betrüge Hopkins richtiggehend – indem ich mich überhaupt darauf eingelassen habe, sein persönlicher Assistent zu werden, habe ich ihm praktisch etwas versprochen, was zu halten ich gar nicht die Absicht habe. Natürlich wird er wütend sein, wenn er es herausbekommt! Und Betsy betrüge ich auch. Bestimmt gefällt ihr dieses Leben auch nicht besser als mir. Es kann nicht lustig sein, einen so unkommunikativen Mann zu haben, wie ich es bis jetzt gewesen bin. Seltsam, wie schwer es uns fällt, einander zu verstehen! Aber wie kann ich je erwarten, dass sie mir Maria und den Jungen verzeiht? Was sie wohl sagen würde: »Das ist schon in Ordnung, Schatz, denk nicht weiter drüber nach«?
    Ich verschwende nur meine Zeit, dachte er – ich muss endlich arbeiten. Als Nächstes, beschloss er, schreibe ich ein paar einleitende Bemerkungen für Hopkins, die er beim ersten Treffen des Sondierungskomitees für psychische Gesundheit verwerten kann. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, meine Einladung zu diesem Treffen anzunehmen, um eines der großen Probleme unserer Zeit zu diskutieren«, schrieb er. »Ich habe die Hoffnung, dass aus diesem Treffen einmal …«

36
    Am Abend des 8. Oktober gingen Tom und Betsy zu der öffentlichen Anhörung über die vorgeschlagene neue Schule im Rathaus von South Bay. Dort war es steif, und die Leute, die von den Pendlerzügen kamen, sahen gelangweilt aus. Der Stuhl, auf dem Tom saß, war hart, und er war müde. Unruhig rutschte er darauf herum. Warum müssen wichtige Themen immer in solchen Räumen beschlossen werden?, dachte er. Irgendwie waren die harten Stühle, der verrauchte Raum und die zerknitterten Mäntel der müden Pendler nicht ganz das richtige Ambiente für aufregende Entscheidungen. »Was glaubst du, wie lange wird die Versammlung dauern?«
    Um fünf Minuten nach acht betrat Bernstein, der zum Diskussionsleiter bestimmt worden war, ein erhöhtes Podium am Kopfende des Saals. Er erwartete einen Abend erbitterten Streits, und sein Magen schmerzte schon. Er setzte sich an einen Holztisch, ergriff einen Hammer und schlug ihn leicht auf. Nach und nach wurde es in dem großen Saal still. »Guten Abend«, sagte Bernstein. »Wir haben uns hier zu einer Anhörung über eine Anleihe von achthunderttausend Dollar eingefunden, die für eine neue Grundschule beantragt worden ist und über die wir heute in einer Woche abstimmen werden. Die Einladung zu dieser Anhörung wurde ordnungsgemäß in der Zeitung veröffentlicht, und ich stelle hiermit den Antrag, auf deren Vorlesung zu verzichten.«
    »Antrag unterstützt«, rief jemand aus dem Publikum.
    »Wer dafür ist, sage ›Ja‹«, sagte Bernstein.
    »Ja!«, donnerte das Publikum.
    »Nein?«, sagte Bernstein.
    »Nein!«, rief eine einsame, spöttische Stimme, worauf das Publikum lachte.
    »Die Ja-Stimmen überwiegen«, sagte Bernstein und dachte: Sie sind offenbar gut gelaunt, aber das Lachen einer Menge kann auch ein Symptom für Anspannung sein. Er räusperte sich und sagte: »Zu Beginn des Verfahrens wird Schulrat Dr. Clyde Eustace Ihnen sagen, warum seiner Meinung nach eine neue

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