Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
nicht lässt? Ich erzähle Maria lieber erst davon, wenn Sie sicher sind.«
»Ja, das wäre besser. Warten wir erst mal ab.«
Es entstand eine Stille, bevor der Kellner kam, um ihre Bestellungen aufzunehmen.
»Möchten Sie was essen?«, fragte Tom Caesar.
Caesar schüttelte den Kopf. »Ich muss wieder los«, antwortete er.
»Ich auch«, sagte Tom. Er bezahlte die Getränkerechnung. Sie verließen das Restaurant und liefen eilig in verschiedene Richtungen weg.
Am Nachmittag hatte Tom dann heftige Kopfschmerzen. Er stürzte sich in die Arbeit und verpasste seinen üblichen Zug nach Hause. Während er in der Grand Central Station auf den nächsten wartete, ging er in einen Drugstore und nahm zwei Aspirin. Als die nicht viel halfen, ging er in die Bar des Hotel Commodore und trank zu viele Martini. Als er schließlich nach Hause kam, betrachtete Betsy ihn voller Verwunderung und Besorgnis. »Tommy«, sagte sie, »was ist denn los mit dir? Du siehst ja furchtbar aus.«
»Wahrscheinlich habe ich mir nur etwas den Magen verdorben«, sagte er. »Ich glaube, ich gehe nach oben und lege mich hin.«
Ohne noch mehr zu sagen, ging er ins große Schlafzimmer hinauf. Er zog nur die Schuhe aus und legte sich auf das breite Himmelbett. Alle Gegenstände im Zimmer schienen ihm vor den Augen zu tanzen. Die Gemälde seines Vaters und Großvaters als Kinder, die alte Mandoline in dem rissigen Lederkoffer auf dem obersten Brett des Bücherregals in der Ecke und eine elektrische Uhr auf der Kommode verschwammen und waberten herum. Er schloss die Augen. In dem stillen Raum konnte er seine Armbanduhr ticken hören. Einige Augenblicke später kam Betsy herein und musterte ihn besorgt. »Soll ich den Arzt rufen?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er und schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich habe ich nur ein bisschen zu viel getrunken. Ich war müde, und als ich meinen Zug verpasst habe, bin ich noch in die Bar im Bahnhof.«
»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte sie. »Das ist nicht erwachsen, Tommy! Und wenn du so trinkst, ist mir, als wären wir in verschiedenen Welten. Du hast mir noch nicht mal von deiner Reise nach Kalifornien erzählt, und jetzt müssen die Kinder und ich ohne dich essen. Ich fände es gut, wenn du aufhörst zu trinken, wenn auch nur, damit ich mich nicht so einsam fühle.«
»Entschuldige«, sagte er. Er streckte sich aus und blickte zu dem gehäkelten Baldachin hinauf. Betsy verließ das Zimmer. Gleich darauf kam sie wieder, und er spürte etwas Kühles auf der Stirn. Er fasste mit der Hand hin und merkte, dass sie ein feuchtes Tuch daraufgelegt hatte. »Danke«, sagte er.
»Wäre ein Eisbeutel gut?«, fragte sie.
»Das geht schon so.«
»Hat Hopkins etwas zu dir gesagt, was dir Sorgen macht?«
»Nein – mit Ralph ist alles gut. Meine Arbeit macht mir keine Sorgen. Ich rede später mit dir darüber.«
»Bitte trink nicht mehr«, sagte sie.
»Nein.«
»Ich möchte dich so nicht sehen. Das finde ich ganz schrecklich.«
»Entschuldige.«
»Wir haben so viel zu tun. Ich habe versprochen, bei den Flugblättern für die Schule mitzuhelfen.«
»Kann ich nach der Schulabstimmung mit dir reden?«
»Worüber?«
»Das ist jetzt egal. Komisch, dass du gesagt hast, du bist einsam. Wir waren beide so lange einsam.«
39
Es war Altweibersommer. Der Tag der Schulabstimmung erwies sich als warm und klar. Nachdem sie zeitig gefrühstückt hatten, fuhren Tom und Betsy mit den Kindern zum Rathaus, um abzustimmen. Vor ihnen wartete schon eine lange Schlange Pendler, die Jungen und Ehrgeizigen, die Alten und Erfolgreichen und die Müden jeden Alters, alle standen sie in einer Schlange, um abzustimmen, ob sie sich für den Bau einer neuen Schule besteuern lassen wollten. Sie waren höflich, entschuldigten sich ausgiebig, wenn sie jemanden anrempelten, und enthielten sich bewusst jeden Kommentars über das anstehende Thema.
Auf dem Heimweg, nachdem sie abgestimmt hatten, kamen Tom und Betsy an einem weißen Lautsprecherwagen vorbei. »Stimmt gegen die Schule!«, plärrte er. »Stimmt gegen hohe Steuern und schlecht geplante Schulprogramme!« Eine Straße weiter brüllte ein anderer Lautsprecherwagen: »Stimmt für die Schule! Unsere Kinder verdienen das Beste!« Anscheinend folgten die Laster einander durch die Stadt, und sie röhrten wie Elche in der Brunft.
Tom verließ Betsy und die Kinder am Haus und eilte zum Bahnhof, um zur Arbeit zu fahren. Im Zug betrachtete er erneut das Foto von Maria und ihrem
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