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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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geschrieben stand. Tom riss ihn auf. Er zog ein einzelnes Blatt heraus, das um einen in Seidenpapier gewickelten Schnappschuss gefaltet war. Er sah sich erst das Foto an. Es zeigte eine schlicht gekleidete, füllige Frau schon fast mittleren Alters, die er vage als Maria erkannte, und neben ihr stand ein Junge, ein schmaler, kleiner Junge, der ganz fein gemacht war, eine Mütze aufhatte und ein Hemd mit breitem Kragen trug, dazu eine eng sitzende kleine Jacke und kurze Hosen. Mit seinen seltsamen alten Kleidern, dem schmalen, großäugigen Gesicht und der schockierenden Vertrautheit von Stirn, Nase und Mund sah er aus wie eine jener verblichenen Fotografien, die Toms Großmutter vom »Senator« als Kind aufbewahrt hatte. Tom starrte auf den Schnappschuss, steckte ihn dann mit zitternden Händen schnell wieder in den Umschlag und faltete den Brief auseinander. Offenbar hatte Maria ihn jemandem diktiert – Grammatik und Rechtschreibung waren korrekt.
    »Lieber Tom«, begann der Brief, »ich mache das nicht gern, aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Für mich selbst brauche ich keine Hilfe, aber da ist ja noch der Junge. Alles, was Du für ihn tun könntest, käme vom Himmel. Ich schäme mich, Dich zu bitten, aber wir waren ja nie stolz miteinander, daher wirst Du es vielleicht verstehen. Der Junge braucht Hilfe. Er ist ein guter Junge. Er lernt brav. Ich schicke Dir dieses Bild, das Louis letztes Jahr aufgenommen hat. Glaube nicht, dass wir Dir Ärger bereiten wollen. Ich lasse es in Gottes Hand.«
    Der Brief war mit »Maria Lapa« unterzeichnet. Tom trank einen Schluck, bevor er ihn sorgfältig wieder faltete und zu dem Foto in den Umschlag steckte. Er steckte den Umschlag in die Innenseite seines Jacketts, und als er aufblickte, sah er, dass Caesar diskret auf die Wand schaute. Eine schwere Stille lastete auf ihnen.
    »Caesar«, sagte Tom plötzlich, »kann ich etwas Zeit haben, das alles zu überdenken?«
    »Klar, Mr Rath«, erwiderte Caesar. »Niemand will Sie hetzen. Wir wollen nicht, dass Sie was tun, was Sie nicht richtig finden.«
    »Was glauben Sie, wie viel sollte ich schicken?«
    »Alles würde helfen. Gina und ich haben ihrer Mutter zehn Dollar im Monat geschickt. Zehn Dollar sind in Rom eine Menge Geld.«
    »Wie viel würde Maria brauchen, um den Jungen ordentlich großzuziehen?«
    Caesar zuckte die Achseln. »Maria wird wahrscheinlich weiter bei Ginas Mutter wohnen«, sagte er. »Wenn Sie ihr hundert im Monat schicken würden, könnte sie eine ganze Menge damit anfangen. Dann könnte sie den Jungen auf eine gute Schule schicken und so weiter.«
    »Ich brauche etwas Zeit, um das alles in die Wege zu leiten«, sagte Tom. »Sehen Sie, Caesar, Sie waren immer ein anständiger Kerl. Ich muss es meiner Frau sagen – das werden Sie bestimmt verstehen. Und das wird nicht einfach. Ich brauche Zeit.«
    »Klar, Mr Rath«, sagte Caesar ernst. »Fürs Erste geht’s Maria gut – Ginas Mutter kann sich um sie kümmern. Sie brauchen sich nicht zu beeilen.«
    »Es könnte einige Wochen dauern«, sagte Tom. »Ich muss den richtigen Zeitpunkt abpassen, um es meiner Frau zu sagen.«
    »Das geht mich nichts an, Mr Rath, aber machen Sie sich da nicht einen Haufen Probleme? Indem Sie es Ihrer Frau sagen, meine ich.«
    »Könnten Sie jeden Monat irgendwohin Geld schicken, ohne es Ihrer Frau zu sagen?«
    »Nein, wahrscheinlich nicht. Ich hoffe bloß, dass Ihnen das keinen Ärger einbringt. Ich weiß, Maria wollte das nicht.«
    »Ich habe eine gute Frau«, sagte Tom. »Ich glaube nicht, dass es deswegen Ärger gibt. Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt abpassen.«
    »Mr Rath, das wollte ich doch gern noch sagen«, erwiderte Caesar umständlich. »Wir sind Ihnen dankbar – Maria, Gina und ich. Wir wissen, dass Sie es nicht tun müssen, nichts und niemand könnten Sie dazu zwingen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das etwas bedeutet, aber Gina und ich werden für Sie beten, und ich weiß, dass auch Maria es tut.«
    »Maria hat es schon«, sagte Tom. »Also, hören Sie zu. Wahrscheinlich werden Sie jetzt eine ganze Weile nichts von mir hören. Aber ich melde mich bei Ihnen, und dann treffe ich eine Vereinbarung mit Maria. Wahrscheinlich mache ich es über eine Bank oder einen Anwalt. Ich schreibe ihr einen Brief, aber ich möchte eine dauerhafte Vereinbarung treffen.« Verwirrt hielt er inne. »Es wäre wohl für jeden etwas schwierig, wenn ich ihr jeden Monat schreiben müsste«, sagte er schließlich.
    »Und wenn Ihre Frau Sie

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