Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Gardella da?«
»Einen Moment«, sagte die Frau, dann hörte Tom sie rufen: »Caesar! Caesar! Telefon für dich!« Dann sagte sie noch etwas auf Italienisch. Dann war Stille, und gleich darauf näherten sich schwere Schritte. »Hallo«, sagte Caesar mit seiner tiefen Stimme.
»Hier ist Tom Rath. Sie haben mich angerufen?«
»Ja, Mr Rath. Ich habe von Maria gehört. Ich würde Sie gern sehen.«
»Geht es ihr gut?«
»Es sieht schlecht aus, Mr Rath. Louis ist tot. Sie gingen nach Mailand, wie ich gedacht hatte, und dort wurde er getötet, nur zwei Wochen nachdem er Arbeit gefunden hatte. Es gab einen Streik in der Fabrik, in der er arbeitete. In Mailand gibt’s ’ne Menge Rote, die machen viel Ärger – es gab Krawalle, und dabei wurde Louis getötet. Mit seinem Bein konnte er nicht kämpfen und auch nicht wegrennen.«
Eine Pause entstand. »Haben Sie mich gehört, Mr Rath?«, fragte Caesar.
»Ja. Es tut mir sehr leid, dass Louis tot ist. Und geht es Maria und dem Jungen gut?«
»Sie sind wieder in Rom bei Ginas Leuten. Sie brauchen dringend Hilfe, Mr Rath. Ich würde mich gern mit Ihnen treffen und die Sache besprechen. Gina und ich tun, was wir können, um ihnen zu helfen, aber Sie wissen ja, wie das ist. Wir haben selber drei Kinder. Wir wären alle wirklich dankbar, wenn Sie was tun könnten.«
Für einen Augenblick trat Stille ein, dann sagte Tom: »Wann können wir uns sehen?«
»Wie wär’s mit heute Mittag?«
»Dann treffen wir uns unten im Eingang bei der Informationskabine, wo wir uns schon das letzte Mal getroffen haben«, sagte Tom. »Halb eins, zum Mittagessen. Ginge das für Sie?«
»Klar, Mr Rath. Ich werde da sein.«
»Danke«, sagte Tom und legte auf. Jetzt muss ich es Betsy doch sagen, dachte er. Ich hoffe, es wird was mit diesem Bauprojekt. Dann hätten wir einen Haufen Geld, und es wäre einfacher, es ihr zu sagen.
Jetzt sage ich es ihr noch nicht, dachte er. Nicht heute Abend. Ich warte lieber noch bis nach der Abstimmung über die neue Schule. Dann wäre es einfacher, wenn wir wissen, dass mit uns selbst alles gut läuft.
Und was mache ich, wenn es mit dem Bauprojekt schiefgeht?, dachte er. Wenn es nicht läuft, habe ich nur mein Gehalt, und wäre es fair Betsy gegenüber, sie zu bitten, es mit einer Frau zu teilen, die ich im Krieg kennengelernt habe? Das täte sie nie – keine Frau täte das!
Tom schaute auf das Telefon. Er wünschte, er könnte Betsy erst sehen, wenn er ihr auch von Maria erzählen könnte – er wollte keine Geheimnisse mehr vor ihr haben. Der dringende Wunsch, nach Hause zu kommen, hatte ihn verlassen. Er rief Betsy an und sagte ihr, er müsse noch wegen eines Geschäftsessens über Mittag bleiben.
»Oh!«, sagte sie und klang enttäuscht. »Musst du das denn unbedingt?«
»Leider ja.«
»Du klingst so komisch. Ist alles in Ordnung?«
»Ja.«
»Bist du sauer auf mich oder so? Du klingst wirklich komisch.«
»Ich bin nicht sauer«, sagte er. »Ich muss mich nur mit einem treffen. Es geht einfach nicht anders.«
Um halb eins stieg Tom in einen der goldenen Fahrstühle und fuhr hinab in die Eingangshalle des United-Broadcasting-Gebäudes. Caesar Gardella, in einen dunkelblauen Geschäftsanzug gekleidet, wartete schon auf ihn an der Informationskabine. Er lächelte verlegen, als er Tom sah. »Wollen Sie wieder zu dem Mexikaner?«, fragte er.
»Glaube schon«, sagte Tom.
Schweigend gingen sie über die Rockefeller Plaza. Im Restaurant setzten sie sich dann an den Tisch, an dem sie schon einmal gesessen hatten.
»Zwei doppelte Black and White«, sagte Tom zum Kellner. Als der Whisky kam, sagte er zu Caesar: »Können Sie mir noch mehr über Maria erzählen?«
»Nur, dass sie und der Junge wieder bei Ginas Verwandten wohnen«, sagte Caesar. »Es geht ihnen wohl ganz gut. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt hätte tun sollen, aber mir schien, es hat erst Sinn, Sie anzurufen, wenn …«
»Was haben Sie getan?«
»Ich hab Ginas Mutter gesagt, dass ich Ihnen hier in New York über den Weg gelaufen bin und dass sie es Maria sagen soll, um zu sehen, ob Maria überhaupt Hilfe von Ihnen annehmen würde, wenn Sie dazu bereit wären.«
»Was hat Maria gesagt?«
»Sie hat mir einen Brief an Sie geschickt. Ich hab ihn nicht aufgemacht, aber Ginas Mutter sagt …«
»Sie haben einen Brief für mich?«
»Ja.« Aus der Brusttasche zog Caesar einen ziemlich verschmutzten Umschlag, auf dessen Vorderseite Toms voller Name in großen, schrägen Buchstaben
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