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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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unendlich schuldig gewesen. Der Mann mit der Lederjacke war achtzehn Jahre alt gewesen.
    Herrgott, das ändert doch nichts! Tom schaute zu der Ampel an der Fifth Avenue hinauf. Der Mann neben ihm hustete erneut. Der Junge mit der Lederjacke hätte nicht husten sollen, sein Husten hatte ihn nämlich verraten.
    »Jetzt hört mal zu. Eins müsst ihr in euren Kopf kriegen, wir treiben hier keine Spielchen!«
    Das war ein merkwürdiger Satz, den er sich da gemerkt hatte. Er war mit rauer Stimme gesprochen worden, eher sachlich als wütend, vielleicht ein bisschen verzweifelt, die Stimme eines Lehrers, der vor ein wenig dummen Schülern stand, die Stimme des alten Sergeant, der Tom auf seinen Angriff auf den Jungen mit der Lederjacke vorbereitet hatte, der alte Sergeant, dem Tom gewissermaßen sein Leben verdankte, denn hätte er diese Lektion nicht gelernt, dann wäre jetzt vielleicht er selbst und nicht der Junge mit der Lederjacke bloß eine schmerzliche Erinnerung.
    »Jetzt hört mal zu. Eins müsst ihr in euren Kopf kriegen, wir treiben hier keine Spielchen! Wenn ihr hinter den feindlichen Linien seid, macht ihr keine Gefangenen – wenn doch, müsst ihr die ganze Nacht wach bleiben, um sie zu bewachen, und trotzdem könnten sie euch irgendwie aufs Kreuz legen. Also geht mir da kein Risiko ein. Seht ihr einen Jerry, fangt ihr gar nicht erst mit dieser Cowboy-Kacke an, Hände hoch und so, ihr knallt den Arsch einfach ab, wenn möglich in den Rücken, weil dabei das Risiko geringer ist. Wir treiben hier keine Spielchen. Und mit Wunden versorgen und solcher Kacke ist auch nichts. Die Verwundeten können euch mit einer Handgranate oder einer Pistole erwischen – hab ich schon hundertmal erlebt. Also geht mir da kein Risiko ein. Entweder ihr bleibt von den Verwundeten weg, oder ihr erledigt sie, bevor ihr hingeht. Wir treiben hier keine Spielchen.«
    Na, dachte Tom, als er das Büro der Schanenhauser-Stiftung betrat und sich an seinen Schreibtisch setzte, 1943 hatte er jedenfalls keine Spielchen getrieben, als er auf den Jungen mit der Lederjacke stieß. Für Spielchen war da keine Zeit gewesen. Tom und Hank Mahoney waren allein gewesen – die ganze Kompanie war aufgerieben, es war von Anfang an ein einziges bescheidenes Chaos gewesen –, nur dass sie es da noch nicht »bescheiden« genannt hatten. Kein Wort war auch nur annähernd schlimm genug gewesen, um ihre damaligen Empfindungen auszudrücken. Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort abgesprungen, und ein Viertel der Kompanie war von Gewehr- und MG -Feuer getötet worden, bevor sie überhaupt unten angekommen waren. Es war nicht die Zeit gewesen, sich traurige Gedanken über achtzehnjährige deutsche Jungen zu machen. Sie waren gesprungen und empfangen worden, von einer ganzen verdammten Division, so hatte es jedenfalls gewirkt, und Tom hatte nur einen Gedanken gehabt: Ich komme hier lebendig raus, und versucht ja nicht, mich daran zu hindern. Nein, das hatte er nicht gedacht, es war anders gewesen. Er hatte gedacht: Ich versuche, hier rauszukommen, ich werd’s versuchen. Ich werde nicht sterben, nur weil ich’s nicht versucht habe.
    Alles war ein einziges Durcheinander gewesen. Sie waren bei Einbruch der Dunkelheit gesprungen, ungefähr hundert Mann hinter den deutschen Linien, um eine Brücke zu zerstören. Sie sollten eigentlich ohne Feindberührung auf einem Feld bei einem Wäldchen landen und im Schutz der Dunkelheit weiterziehen, aber dann war es völlig anders gekommen. Die Deutschen hatten sie erwartet. Sie hatten Leuchtraketen abgeschossen und Suchscheinwerfer auf die Männer gerichtet, die an den leuchtend weißen Fallschirmen baumelten. Und diejenigen, die das überlebt hatten, gerieten, kaum dass sie unten waren, in Panik. Es waren grüne Jungs gewesen, die meisten jedenfalls, die nie zuvor einen Gefechtssprung gemacht hatten, und als sie sahen, dass die Sache nicht nach Plan lief, gerieten sie in Panik und rannten übers Feld zu den Bäumen, und die Deutschen hatten es da so richtig rausgehabt. Sie hatten lediglich ihre Flakgeschütze gesenkt und dort am Waldrand ein wahres Scheibenschießen veranstaltet. Die Fallschirmjäger hatten eigentlich gelernt, bei so etwas wie Schlangen zu kriechen, sich wie Eidechsen am Boden zu ducken, aber das hatten die meisten vergessen und waren zum Wald gerannt, groß wie Schneemänner in den Suchscheinwerfern und Leuchtraketen. Um Soldat zu werden, musste man nicht sehr hell gewesen sein. Man brauchte nur ein

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