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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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die Welt erschaffen wurde. Dann hatte er Maria angeschaut, wie sie an ihrem Wermut nippte und nachdenklich vor sich hin schaute, und gesehen, dass sie hübscher war, als er gedacht hatte, dass ihr Gesicht, wenn es ruhig war, noch immer das eines jungen Mädchens war und dass ihr Körper ein schöner Frauenkörper war und viel schöner als die meisten.
    »Sprechen Sie Englisch?«
    »Ein bisschen«, hatte sie in ihrem starken Akzent geantwortet. »Mein Vater hat Englisch gesprochen. Manchmal war er Führer für die Touristen.«
    »Ich heiße Bill Brown«, hatte Tom gesagt. »William T. Brown aus Kansas City, Iowa. Wie heißen Sie?«
    Sie hatte die Achseln gezuckt und »Maria« gesagt.
    »Hätten Sie Lust, was essen zu gehen, Maria? Hauen wir hier ab und gehen so richtig zu Abend essen! Mögen Sie Champagner?«
    »Ja.«
    Sie waren in ein großes Restaurant mit weißen Tischdecken und befrackten Kellnern gegangen, als wäre gar nicht Krieg gewesen. Für eine gewaltige Summe hatten sie Brathuhn mit Röstkartoffeln und Gebäck gegessen und tatsächlich auch Champagner getrunken, Champagner, den die Deutschen aus Frankreich nach Rom gebracht hatten. Sie hatte gierig gegessen und wenig getrunken. Als sie fertig gegessen und auch gezahlt hatten, hatte sie ihn leise gebeten, mit ihr auf ihr Zimmer zu kommen, er hatte überhaupt nichts andeuten müssen. Sie waren in ein Taxi gestiegen und lange gefahren, durch matt beleuchtete Straßen, vorbei an Silhouetten hoher Häuser, die, schwarz und schartig vor dem mondhellen Himmel, weniger vom Krieg als von der Zeit verheert waren. Sie hatten nicht gesprochen. Im Taxi hatte er sie einmal geküsst, ihre Lippen waren unglaublich weich gewesen, und ihm war aufgefallen, dass er vergessen hatte, wie ein Kuss war. Die Verzweiflung, die Wut, dass er noch zu einem weiteren Krieg fliegen musste, und die kalte Einsamkeit, die ihm so viele Monate im Magen gelegen hatte, in so vielen Gefechten und in den Pausen dazwischen, war verflogen, und irgendwie hatte sich auch das Gefühl von Billigkeit und Verwahrlosung verflüchtigt, und zum ersten Mal seit zwei Jahren war er entspannt und vollkommen glücklich gewesen, zum ersten Mal, seit er an Bord des schiefergrauen Truppentransporters gegangen war, der ihn endlos viele Monate davor von New York in den Nebel des Nordatlantiks getragen hatte.
    »Sie sind schön«, hatte er gesagt.
    Das Taxi hatte vor einem Wohnblock gehalten. Eine alte Frau hatte in einem Fenster gelehnt und sie mit unverhohlener Neugier betrachtet. Nachdem er den Fahrer bezahlt hatte, war Tom dem Mädchen über einen Hof voller Schutt und Trümmer in ein dunkles Treppenhaus gefolgt. Licht hatte es keines gegeben. Das Mädchen hatte ihn an der Hand genommen und eine gewundene, mit Pappkartons und Flaschen übersäte Treppe fünf Stockwerke hinaufgeführt. Auf jedem Absatz war Mondlicht zum Fenster hereingeströmt. Das tiefe Dunkel der Treppen zwischen den Absätzen war nicht wie die Finsternis eines Schlachtfelds gewesen, keine undurchdringliche Mauer, die nur Gefahr und Tod verhüllte. Es war ein schützendes Dunkel, freundlich, warm, fast weich und zärtlich. Sie hatte ihn in ihr Zimmer geführt, und er hatte einen Lichtschalter gedrückt, doch kein Licht war angegangen, und sie hatte eine Kerze angezündet, hatte sich ernst darübergebeugt, und dann war die Flamme des Streichholzes in ihren hohlen Händen gewachsen, hatte erst ihre Silhouette, dann ihr Gesicht gezeigt, flackernde Schatten im Kerzenschein. Er hatte sie wieder geküsst, und sie hatte ihn mit den Fingerspitzen am Hinterkopf gestreichelt, am Hals und auf den Schultern, sehr leicht, hatte ihn kaum berührt, und als der Kuss vorbei war, hatte sie gelächelt, und die Anspannung war aus ihrem Gesicht gewichen, und dann war es gar nicht mehr trostlos gewesen. Sie hatte sich ausgezogen und golden im Kerzenschein gestanden, unfassbar schön.
    Am Morgen war er nicht zu Mahoney in die Bar gegangen. Er hatte eine Woche lang bei Maria gewohnt und jeden, den er kannte, gemieden, und in dieser Woche hatten er und Maria eine kleine, befristete, völlig eigenständige Welt für sich geschaffen, eine Welt, angefüllt mit vertraulichen Scherzen und Erinnerungen, einem ganzen Leben mit silberner und goldener Hochzeit, mit Weihnachten und Geburtstagen, fünfzig Jahre, in einer Woche komprimiert. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander gehabt. Er hatte ihr seinen wirklichen Namen gesagt. Nackt auf dem Bett liegend, mit großer Freude an

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