Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
Vom Netzwerk:
auch noch ein Kind in Italien hatte? Traf man einfach seine Wahl? Nachdem er rund zwei Wochen in Neuguinea gewesen war, hatten ihn die Briefe, die Betsy ihm fast jeden Abend geschrieben hatte, eingeholt. Im ersten, den er geöffnet hatte, hatte gestanden:
    TOMMY, MEIN LIEBSTER,
    herrje, was war das für ein Tag! Um halb neun heute Morgen – halb neun – rief mich Dotty Kimble an, ob ich am Nachmittag mit ihr Bridge spiele. Anscheinend hatte Nancy Gorton ihr versprochen, bei einem Turnier im Club ihre Partnerin zu sein, und im letzten Moment hat Nancy ein Telegramm bekommen, dass John übers Wochenende rauskann, also ist sie natürlich einfach nach South Carolina abgereist. Deswegen war Dotty ohne Partner bei diesem Turnier, das sie anscheinend schrecklich wichtig fand – Du weißt ja, wie wichtig sie solche Sachen nimmt. Na, jedenfalls habe ich zugesagt, und nun rate mal, gegen wen wir im allerersten Spiel gespielt haben? Lillie Barton und Jessie Willis! Du würdest sterben, wenn Du Jessie jetzt sähest – sie hat ungefähr fünfzig Pfund zugenommen, und sie sorgt sich zu Tode, dass sie es nicht mehr wegkriegt, wenn das Baby mal da ist. In einem Monat ist es so weit. Jedenfalls habe ich gedacht, ich sterbe, als ich sah, dass wir gegen sie und Lillie spielen, Du weißt ja, was das für Haie sind. Na, kurz und gut, Du wärst stolz auf mich gewesen, Liebster – ich versuche auch gar nicht, bescheiden zu sein. Dotty und ich haben gewonnen! Als Preis bekamen wir jede eine ganz zauberhafte Majolika-Schale. Ich habe meine eingepackt und sie zu unseren Hochzeitsgeschenken getan, und nach dem Krieg, wenn wir unser Haus kaufen, stelle ich sie mitten auf unseren Esstisch, und jeden Morgen kannst Du dann eine Orange herausnehmen und denken, wie clever ich bin!
    Mehr fällt mir jetzt nicht ein, nur dass ich Dich wie nichts sonst vermisse. Würde ich alle Küsse schicken, die ich Dir geben wollte, müsste ich diesen Brief als Paketpost schicken!
    Ich liebe Dich auf immer und immer und immer und immer!
    BETSY
    Ihre anderen Briefe waren auch in der Art gewesen. Sie hatten Beschreibungen von Filmen enthalten und Träume von der Zukunft, wenn er eine Stelle bei J. H. Nottingsby, Incorporated hätte oder einer Firma mit einem Namen, der so ähnlich klingen müsste. Neben ihrem heiteren Optimismus, der Fröhlichkeit und den langen, umständlichen Witzen hatte Betsy ihm Bilder von sich geschickt, Schnappschüsse eines schlanken, frischen Mädchens mit einem herzlichen und gesunden Lächeln, eines Mädchens, das er irgendwo, irgendwann vor langer Zeit gesehen hatte, eine echte Schönheit.
    Vielleicht gehe ich ja doch nach Italien zurück, wenn ich überhaupt noch irgendwo hingehe, hatte er gedacht. Wenn ich nach Italien zurückgehe, verrate ich einen Menschen, aber wenn ich nach Hause zu Betsy gehe, verrate ich womöglich zwei. Es war seltsam gewesen, auf dem schmalen Leinenfeldbett in Neuguinea zu liegen und an einen Sohn zu denken, vielleicht den Enkel des »Majors«, seinen Sohn, den Urenkel des »Senators«, der ihm ähnlich sah, wie er für Pennys auf den Straßen Roms tanzte. Wenn er nicht nach Rom zurückging, was würde dann aus einem solchen Sohn werden? Er würde barfuß umherstreifen, um Kaugummi betteln, ein Kind ohne Vater, der Sohn einer Hure, die hässlich und verbittert geworden war. Das ist mein Junge, hatte er gedacht da auf dem harten Feldbett in Neuguinea, das ist mein Junge. Wenn es mich auf Karkow erwischt, wird er das Einzige sein, was von mir übrig bleibt.
    Er hatte beschlossen, wenn er den Krieg überlebte, nach Italien zurückzugehen, wenigstens um zu sehen, wie Maria zurechtkam, und er beneidete Caesar Gardella, der von seinem Mädchen in Italien lange Briefe auf Italienisch bekam, sich als förmlich verlobt betrachtete und ständig davon redete, nach dem Krieg zu heiraten. Maria hatte Tom nie geschrieben. Es war ihre Form von Treue gewesen, nicht zu schreiben, zuzulassen, dass sie vergessen wurde. Aber anscheinend hatte Gina Caesar etwas über sie geschrieben, denn Caesars Haltung Tom gegenüber hatte sich verändert – er war reserviert und missfällig geworden, seine Stimme hatte eine Schärfe angenommen, und er hatte begonnen Tom mit »Sir« anzureden.
    Jetzt stand Tom in seinem Büro in der Schanenhauser-Stiftung vom Schreibtisch auf und schaute aus dem Fenster auf die Stadt unter ihm. Jahrelang hatte er nicht mehr an Karkow gedacht. Hätte Karkow nicht sein Gehirn verätzt, dann hätte er Maria

Weitere Kostenlose Bücher