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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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sah er ein Bild von sich, wie er im Haus seiner Großmutter herumlungerte, genau wie sein Vater damals, und nichts zu tun hatte. Er senkte den Blick und sah, wie er seinen rechten Schenkel so fest umklammerte, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Das hatte er schon längere Zeit nicht mehr gemacht. Warum soll ich denn in Friedenszeiten Angst haben, verdammt?, dachte er. Bewusst stand er auf. Eigentlich ist es egal, dachte er. Wird schon schiefgehen. Es wird interessant sein zu sehen, was passiert.
    »Betsy!«, sagte er. »Kann ich dir denn irgendwie beim Packen helfen?«
    »Überhaupt nicht! Und jetzt rate mal, was ich gefunden habe, als ich den Dachboden ausgeräumt habe!«
    »Was?«
    »Deine alte Mandoline – ich habe sie in einen Karton gepackt. Du solltest sie reparieren lassen. Das wäre toll.«
    »Mach ich irgendwann mal«, sagte er.
    »Daddy«, sagte Janey, »erzähl uns doch eine Geschichte über Bubbley.«
    »Na gut«, sagte Tom. »Es war einmal ein kleiner Hund, der hieß Bubbley. Er verschluckte ein Stück Seife, und …«
    »Erzähl nicht so schnell!«, sagte Barbara.
    »… jedes Mal, wenn er bellte, machte er Seifenblasen«, sagte Tom, wobei er die Wörter gleichmäßig trennte. »Eines Tages sah ihn ein Mann vom Zirkus …«
    Er erzählte die Geschichte gut und wiederholte sie auf Bitten zweimal.

17
    »Wird Großmutter da sein, wenn wir kommen?«, fragte Janey.
    Es war Samstagnachmittag. Sie schnurrten auf dem Merritt Parkway von Westport nach South Bay, der Wagen dicht bepackt mit Koffern und Pappkartons voller Kleider. Tom hatte gerade die Eigentumsurkunde des kleinen Hauses in der Greentree Avenue auf seinen neuen Besitzer unterschrieben, der überglücklich schien.
    »Großmutter ist tot«, sagte Betsy sanft. Das hatte sie den Kindern schon mehrere Male erklärt.
    »Kommen Tote auch wieder zurück?«, fragte Barbara.
    »Nein«, sagte Tom.
    »Sind sie gern tot?«, erkundigte sich Janey.
    »Keine Ahnung«, sagte Tom.
    »Großmutter ist im Himmel«, sagte Betsy. »Bestimmt ist sie da glücklich.«
    Der Motor des alten Ford klopfte, und die Anzeige auf dem Armaturenbrett zeigte an, dass er heiß lief. Tom ging auf vierzig Stundenkilometer herunter und hielt sich am äußersten rechten Rand der Schnellstraße. Er hatte schon immer einen Horror davor gehabt, auf dem Merritt Parkway mit den Kindern hintendrin eine Panne zu haben und den alten Wagen nicht von der Fahrbahn zu bekommen. Jetzt sausten andere Autos vorbei und hupten regelmäßig.
    »Wir werden wohl bald einen neuen Wagen brauchen«, sagte Betsy. Tom antwortete nicht.
    »Wo ist Großmutter jetzt?«, fragte Janey. »Was hat man mit ihr gemacht, als sie tot geworden ist?«
    »Ihre Seele ist in den Himmel gegangen«, sagte Betsy. »Ihr Leib ist auf dem Friedhof begraben.«
    »Versucht sie auch mal, vom Friedhof rauszukommen?«
    »Nein«, sagte Tom.
    »Sie ist ja eigentlich gar nicht auf dem Friedhof«, sagte Betsy. »Ihr Geist ist im Himmel.«
    »Wie lange dauert es noch, bis wir da sind?«, fragte Barbara.
    »Wo da?«, fragte Tom.
    »Großmutters Haus.«
    »Ungefähr eine Stunde.«
    »Kann ich einen Schluck Wasser haben?«, fragte Janey.
    Der Motor klopfte lauter. Brich mir jetzt nicht zusammen, dachte Tom. Nicht jetzt. Irgendwie wäre es ein ganz schlechtes Omen, wenn der Wagen bei ihrem Umzug in Großmutters Haus eine Panne hätte.
    Als sie vom Parkway abfuhren, hielten sie an einem Restaurant und aßen zu Abend. Als sie schließlich die Straße erreichten, die sich den Berg hinauf zum Haus wand, war es schon fast dunkel. Die Wärmeanzeige am Armaturenbrett des alten Wagens berührte nun schon die rote Linie, die »Gefahr« bedeutete. Tom ging auf fünfzehn Stundenkilometer herunter, schaltete in den zweiten Gang und kroch um die scharfen Kurven mit den massigen Felsvorsprüngen herum. Der Motor lief weiter. Endlich sah er die Steinpfosten mit den hohen Eisenurnen darauf, bog in die Einfahrt ein und passierte das Eichenwäldchen, das Kutschenhaus und den Steingarten, wo er in den ersten Gang schaltete. Vor ihm ragte die Silhouette der alten Villa gegen den Himmel auf. Tom parkte den Wagen vorm Haus und stellte den müden Motor ab. Der alte Edward öffnete die Haustür und blieb im Rahmen stehen. »Guten Abend, Mr Rath«, sagte er.
    Seit er denken konnte, hatte Tom den alten Edward für selbstverständlich genommen – er musste stark überlegen, um sich an seinen Nachnamen zu erinnern, Schultz. Jetzt musterte Tom ihn genau, als hätte

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