Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
kann ich Ihnen sagen, wie viel ich Ihnen geben kann«, sagte Tom.
»Lassen Sie nur! Ich will das Testament sehen! Ich glaube nicht, dass sie mich nicht erwähnt hat. Sie hat versprochen, mir das Haus zu hinterlassen.«
»Das Haus ?«
»Ganz recht – ich habe Beweise!«
»Das muss ein Irrtum sein«, sagte Tom. »Sie hat oft davon gesprochen, dass sie das Haus mir hinterlassen wollte. Sind Sie sicher, dass Sie sich das alles nicht einbilden?«
»Selbstverständlich! Was glauben Sie wohl, warum ich die ganzen Jahre hier geblieben bin? Warum ich ihre Anweisungen befolgt habe, ihr das Essen gekocht, ihre Wäsche gewaschen und den Dreck hinter ihr weggemacht habe? Glauben Sie, ich habe die alte Frau geliebt?«
Tom stand auf. Er wollte es eigentlich nicht, aber er erhob sich plötzlich aus seinem Sessel und baute sich vor Edward auf. Einen Augenblick lang herrschte völliges Schweigen. Als Tom dann redete, war seine Stimme sehr leise. »Sprechen Sie nie wieder so von Mrs Rath«, sagte er.
Edward starrte zu ihm hinauf und sagte nichts. Sein Gesicht war weiß geworden, vielleicht vor Zorn, vielleicht auch aus Furcht. Tom hatte nicht beabsichtigt, so jäh von seinem Sessel hochzuschnellen. Langsam setzte er sich wieder. »Hören Sie zu«, fuhr er leise fort. »Ich glaube offen gesagt nicht, dass Mrs Rath Ihnen je etwas versprochen hat. Solche Versprechungen hat sie nicht gemacht, und wenn doch, hätte sie mir davon erzählt. Aber ich räume bereitwillig ein, dass Sie zu recht etwas erwarten konnten und dass sie vielleicht Dinge sagte, die Sie darin bestärkten. Es ist durchaus möglich, dass sie mit zunehmendem Alter wirr wurde und glaubte, mehr zu besitzen, als tatsächlich der Fall war. Aber machen Sie sich eines klar: Sie hatte nicht viel zu hinterlassen, egal für wen. Wenn der Nachlass erst einmal geregelt und der Kredit auf das Haus zurückgezahlt ist, dann ist außer dem Haus und dem Grundstück wahrscheinlich kaum noch etwas übrig. Ich beabsichtige, beides zu verkaufen, wenn ich kann, und ich beabsichtige zuzusehen, dass für Sie gesorgt ist, so gut es geht, aber momentan kann ich Ihnen nichts versprechen. Sie haben hier aus freien Stücken und gegen ein Gehalt gearbeitet, und Sie werden nehmen, was ich Ihnen geben kann. Bis ich alles organisiert und das Land verkauft habe, können Sie Ihr Zimmer behalten und Ihre Mahlzeiten hier einnehmen, wenn Sie wollen und wenn Sie auf Ihre Wortwahl achten. Zu arbeiten brauchen Sie nicht.«
»Ich nehme mir einen Anwalt!«, sagte Edward. »Ich klage! Ich habe Beweise, dass sie mir das Haus hinterlassen wollte!«
»Laut diesem Testament ist es mir hinterlassen«, sagte Tom. »Die einzige Frage ist jetzt, ob Sie Vernunft annehmen und akzeptieren, was Sie bekommen, oder ob Sie so weitermachen und noch heute Abend hinausgeworfen werden.«
»Ich gehe, aber Sie werden von mir hören!«
Ich darf nicht wütend werden, dachte Tom. Er ist ein alter Mann. Er hat das Recht, etwas zu erwarten. Vielleicht hat sie ihm ja tatsächlich Versprechungen gemacht, oder er glaubt es zumindest. »Beruhigen Sie sich«, sagte er. »Es ist für uns beide nicht gut, wenn wir uns erregen.«
»Sie betrügen mich!«, sagte der alte Mann. »Entweder Sie oder sie! Sie war verrückt! Sie war dreckig! Sie hat nie gebadet. Sie war …«
»Halt!«, sagte Tom. Seine Stimme war wie der Knall eines Revolvers. Der alte Mann zog scharf die Luft ein.
»Und jetzt gehen Sie«, sagte Tom. »Gehen Sie, packen Sie Ihre Sachen und rufen Sie sich ein Taxi, und dann raus. Wenn Sie in einer Stunde nicht weg sind, werfe ich Sie hinaus.«
»Ich nehme mir einen Anwalt«, sagte Edward. »Sie glauben wohl, ich kann mir keinen leisten. Ich kann mir aber den besten nehmen. Das Haus gehört mir, und ich kann es beweisen.«
»Nehmen Sie sich so viel Anwälte, wie Sie wollen, aber jetzt räumen Sie diesen Stuhl«, sagte Tom. »Und Sie bleiben in der Dienstbotenwohnung, bis das Taxi da ist.«
Edward stand auf. Tom wartete, bis er das Zimmer verlassen hatte, dann ging er nach oben.
»Was war denn?«, sagte Betsy. »Du bist ja ganz aufgewühlt.«
Tom legte sich auf das große Doppelbett und starrte zu dem gehäkelten Baldachin hinauf, der sich über ihm wie ein Netz spannte. »Ich bin wütend geworden«, sagte er.
»Auf Edward?«
»Ja – ich habe ihn rausgeschmissen. Er geht in einer Stunde.«
Er erzählte ihr, was geschehen war, und dabei wuchs seine Empörung noch. »Natürlich bist du sauer geworden!«, sagte sie.
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