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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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die Stimme, »und ich habe einen Anspruch anzumelden …«
    Bernstein hörte Schultz lange zu. Als er aufgelegt hatte, nahm er Toms Brief und las ihn noch einmal durch. Sein Magen begann zu schmerzen, wie er es immer tat, wenn er sah, dass er einen Streit schlichten musste.
    Thomas Rath, dachte er – der Enkel der alten Dame. Saul Bernstein erinnerte sich gut an die alte Florence Rath. Das erste Mal hatte er sie vor über dreißig Jahren gesehen, als sein Vater und seine Mutter aus einem Wohnblock in Brooklyn nach South Bay gezogen waren, um ein Feinkostgeschäft zu eröffnen. Es war ein kleiner Laden gewesen, keineswegs ein Geschäft wie die, die Florence Rath aufsuchte, außer an Feiertagen, wenn es als Einziges geöffnet hatte. Florence Rath hatte häufig sonntags angerufen, um beiläufig um die Lieferung einer kleinen Schachtel Käse oder eines Glases Anchovis zu sich nach Hause zu bitten, was rund zehn Kilometer vom Laden entfernt war. Mehr als einmal war Saul Bernstein den langen, steilen Berg, vorbei an den Felsnasen in den beiden scharfen Kurven, hinaufgeradelt, um eine Flasche Oliven oder eine andere Ware abzuliefern, die einen Gewinn von ungefähr zehn Cent abwarf, und häufig hatten sich die Bediensteten, die die Lieferung entgegennahmen, nicht darum geschert, dass er auch ein Trinkgeld bekam.
    Saul Bernstein erinnerte sich an vieles mit Florence Rath. Einmal war sie in das Geschäft seiner Familie gekommen. Das war 1931 gewesen, als die Wirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt war und sein Vater fast schon im Begriff stand, das Geschäft aufzugeben, nach New York zurückzukehren und sich dort Arbeit zu suchen. Die Heizung im Laden war aus Sparsamkeitsgründen abgestellt gewesen, und Saul Bernsteins Eltern hatten den ganzen Tag in dicken Mänteln, Schals und Handschuhen hinter dem kleinen Ladentisch gestanden und sich die Hände gegen die Schultern geschlagen, um warm zu bleiben. Der Laden war feucht gewesen und hatte nach Schimmel gerochen, und einige Gläser waren geborsten, weil ihr Inhalt gefroren war. Saul Bernstein war in jener Zeit selbst nicht oft im Geschäft gewesen, denn seine Familie hatte darauf bestanden, dass er und seine Brüder so viel wie möglich in der Highschool waren, wo es warm war, aber an jenem Sonntag, als Florence Rath hereinkam, hatte seine Mutter oben in ihrem kleinen Zimmer krank im Bett gelegen und sein Vater hatte sie gepflegt, weswegen Saul Dienst im Laden hatte. Florence Rath hatte einen langen Pelzmantel getragen, und während sie wartete, dass er ihr eine Dose gemischte Nüsse brachte, hatte sie sich beschwert. »Warum haltet ihr den Laden nicht warm?«, hatte sie gesagt. »Sollen eure Kunden denn erfrieren?«
    »Nein, Ma’am«, hatte er erwidert und gemeint, hinzufügen zu müssen: »Die Heizung ist kaputt – wir lassen sie gerade reparieren.«
    Saul Bernstein hatte ein langes Gedächtnis. Er erinnerte sich noch, als er ein junger Anwalt war, erst ein Jahr nach dem College, und ein Eisenwarenhändler hereingekommen war und ihn gebeten hatte, bei Mrs Rath eine Rechnung für teure Gartengeräte einzutreiben, die sie, so der Kaufmann, bestellt, aber nie bezahlt habe. Es war in den Tagen gewesen, als Bernstein die meiste Zeit geduldig in seinem kleinen Büro gesessen hatte und hoffnungsfroh auf die Schritte möglicher Klienten im Flur gehorcht und versucht hatte, den Ratschlag seiner besten Freunde zu vergessen, denen zufolge er doch nach New York gehen solle, um dort als Anwalt zu arbeiten, weil es für einen jüdischen Anwalt in einem kleinen, engstirnigen Städtchen in Connecticut, das für seine Vorurteile gegen Juden berüchtigt sei, keinen Platz gab. Der Eisenwarenhändler mit seiner Forderung gegen Mrs Rath war Bernsteins erster Klient gewesen, und das schlicht deswegen, weil alle anderen Anwälte in der Stadt sich geweigert hatten, den Fall zu übernehmen. Bernstein hatte ihn mit Freuden angenommen, und er hatte gebrannt vor rechtschaffener Empörung bei der Vorstellung, dass die reiche alte Frau da oben auf dem Berg bei dem armen Händler Geräte bestellt hatte und sich dann weigerte, sie zu bezahlen. Fast wäre er auf den Berg hinaufgestürmt, um sie auszuschelten, doch eine innere Vorsicht hatte ihn daran gehindert, und stattdessen hatte er in der Stadt Erkundigungen eingezogen und dabei festgestellt, dass Mrs Rath berühmt dafür war, ihre Rechnungen noch am Tag ihres Erhalts zu bezahlen. Er hatte bei dem Händler herausgefunden, dass ein Gärtner von Mrs Rath

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