Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Verhältnisse im Ausschuss zu ihren Ungunsten wenden. Früher oder später würde ein neues Mitglied benannt werden müssen, aber bis dahin konnte nicht einmal Bernstein vorhersagen, wie Bauanträge entschieden würden. Er wusste lediglich, dass es erbitterte Kämpfe geben würde, und allein bei dem Gedanken daran schmerzte sein Magen schlimmer denn je. Wie heftig Schultz am Telefon geklungen hatte! » Ich will mein Recht «, hatte er gesagt. Ich möchte wissen, wie viele Morde mit dieser Losung begangen, wie viele Kriege geführt wurden, dachte Bernstein. Wenn sie sagen, sie wollen ihr Recht, dann wollen sie doch immer, dass ein anderer den schwarzen Peter kriegt. Recht ist etwas, was besser gegeben als empfangen wird, aber ich bin es leid, es zu geben, dachte er. Ich finde, das sollte das Privileg der Götter sein.
20
An jenem Dienstagmorgen vollendete Tom den letzten Entwurf der Rede, die er für Ralph Hopkins schrieb. Der ganze Text, der nun ungefähr dreißig Seiten lang war (»Das können wir später noch kürzen«, sagte Hopkins), war ihm zunehmend als Strafe erschienen, der er nie würde entrinnen können, eine endlose Abhandlung, ein bedeutungsloses Lebenswerk.
Gegen Mittag brachte Tom die Rede zu Bill Ogden. Er glaubte, genau zu wissen, was als Nächstes passierte. Ogden würde sie lesen und sie schrecklich finden. Tom würde sie wieder umschreiben und zum Abendessen bei Hopkins gebeten. Hopkins würde sagen, sie sei wunderbar, und ihn bitten, sie noch einmal zu machen, und dieser ganze Prozess würde sich zweifellos immer wieder aufs Neue wiederholen, bis zum 15. September, wenn Hopkins mutmaßlich in einem großen Hotel in Atlantic City ans Rednerpult träte und allen erzählte, wie wunderbar es sei, hier zu sein.
Aber so kam es mitnichten. Tom ging mit der Rede zu Ogden, Ogden legte sie nachlässig zu anderen Papieren auf seinem Schreibtisch, ohne auch nur einen Blick auf die erste Seite zu werfen.
»Danke, Tom«, sagte er beiläufig. »Das nehmen wir Ihnen jetzt mal ab, da soll sich mal Gordon Walker dran versuchen.«
Tom wartete in der Annahme, es gebe eine andere Aufgabe für ihn, aber das war offenbar nicht der Fall. Ogden nahm den Hörer und rief jemanden in San Francisco an. Tom stand unsicher auf, glaubte, Ogden werde sagen, er solle warten, doch Ogden saß nur da, den Hörer lässig am Ohr, und sagte nichts. Ich sollte den Kerl nicht so ablehnen, dachte Tom. Schließlich macht er seine Arbeit ganz hervorragend. Er ging zurück in sein Büro und setzte sich hin. Warum hatten sie ihm die Rede weggenommen? Hieß das, dass er daran gescheitert war? Oder war das eine normale Vorgehensweise, die Rede an mehrere von Hopkins’ Assistenten weiterzugeben? Tom wusste es nicht.
Er hatte nichts zu tun. Noch wenige Minuten zuvor hatte er gefürchtet, in sein Büro zurückzukommen und sich wieder an die Überarbeitung der Rede zu machen, aber jetzt hätte er sich darüber gefreut. Doch er hatte nichts zu tun. Wie lange noch würde Hopkins ihn dafür bezahlen, in einem schicken kleinen Büro zu sitzen, im Vorzimmer eine Sekretärin, und nichts zu tun zu haben? Vielleicht entledigte Hopkins sich ja so seiner Leute. Vielleicht wurde in dieser seltsamen, höflichen Welt hoch oben im Himmel überm Rockefeller Center nie jemand richtig gefeuert. Vielleicht gab Hopkins ihnen dann einfach nichts zu tun, rein gar nichts, bis sie verrückt wurden, den ganzen Tag nutzlos in ihrem Büro zu sitzen, und kündigten. Vielleicht war das die höfliche, smarte Art, einen loszuwerden, den niemand wollte.
Aber das würde nicht funktionieren, dachte Tom. Wenn sie das bei mir probieren würden, würde ich mir eben Zeitschriften kaufen und mir hier ein schönes Leben machen, und das bei neuntausend Dollar im Jahr. Es wäre doch gar nicht so schlecht, neuntausend Dollar im Jahr für rein gar nichts zu bekommen. Ich würde schon was finden, womit ich mich beschäftigen kann. Liebe Güte, ich würde daran arbeiten, Großmutters Land zu verkaufen.
Aber dieser Zustand würde nicht lange anhalten – natürlich würde Hopkins einen feuern, wenn der unbedingt bleiben wollte, nachdem er ein paar Wochen nichts zu tun bekommen hätte. Ihm keine Arbeit zu geben wäre nur eine Warnung. Es gäbe ihm die Gelegenheit, mit Anstand zu verschwinden.
Vielleicht ist es aber gar nicht so, dachte Tom. Vielleicht sind sie ja nur klug genug, um zu wissen, dass man bei einer Rede, die man einige Male überarbeitet hat, allmählich abstumpft.
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