Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
er gerade mit Edward Schultz am Telefon geführt hatte, nagte es in seinem Magen immer schlimmer. Umstrittene Testamente waren immer schmerzlich, fast so sehr wie Scheidungssachen. Sie brachten in jedem das Schlimmste hervor, das wusste Bernstein aus Erfahrung. Oberflächlich betrachtet war der Fall einfach: Ein reicher junger Erbe versuchte offenbar, einen treuen alten Diener wegzudrängen. Meistens erweisen sich die Dinge genauso, wie sie oberflächlich erscheinen, hatte Bernstein gefunden, aber eben nicht immer. Er fragte sich, wie der junge Thomas Rath wohl war – vermutlich einer dieser Pendler, die ihre Einkäufe in Bermuda-Shorts tätigten und ihre Zigaretten in einer langen Spitze rauchten, dachte er – so einen Enkel dürfte die alte Mrs Rath wohl schon haben. Und dieser Edward Schultz, der am Telefon ziemlich verrückt geklungen hatte, was war das für einer? Welcher der beiden Männer würde mit dem Recht zufrieden sein?
Aber an diesem Morgen war auf seinem Schreibtisch mehr als ein Streit um ein Testament gelandet, sinnierte Bernstein. Falls Rath das Land bekam, hatte er offenbar die Absicht, es in halb-Hektar-große Parzellen aufzuteilen. Das Anwesen der Raths lag in einer »Drei-A-Zone«, in der es kein Grundstück von weniger als vier Hektar Größe geben durfte. Das bedeutete, falls Rath das Land bekam, würde es einen Zonenkampf geben. Bernstein hatte schon so lange in South Bay gelebt, dass er die Heftigkeit eines jeden Disputs voraussagen konnte, wenn nicht gar das Ergebnis, und er dachte: Jetzt nur keinen Zonenkampf – einen Zonenkampf brauchen wir jetzt nicht!
Manchmal war es fast ein Nachteil, so lange in einer Stadt gelebt zu haben, weil Bernstein alle Leute in der Stadtverwaltung so gut kannte, dass er bei fast jeder Frage voraussagen konnte, wie sie sie beantworteten, und ohne sich von seinem Stuhl zu bewegen, konnte er eine ziemlich genaue Umfrage der öffentlichen Meinung durchführen, ein Vorgang, der oftmals verstörend war. Jetzt stellte er sich vor, was die verschiedenen Politiker in South Bay sagen würden, wenn Thomas Rath das Bauamt bitten würde, sein Land aufteilen zu dürfen. Der alte John Bradbury, der Vorsitzende des Bauausschusses, würde allein schon beim Gedanken daran explodieren. Er würde die ganze Frage sofort mit der Kontroverse darüber verknüpfen, ob eine neue staatliche Schule gebaut werden solle. »Acht Hektar mit einem Haus darauf ergeben eine Familie, die eine Privatschule nutzt«, würde der alte Bradbury aufgebracht sagen. »Acht Hektar mit zwanzig Häusern ergeben zwanzig Familien, die alle von der Stadt erwarten, dass sie ihre Kinder erzieht!«
Und der alte Mr Parkington, dessen Grundstück an die Südseite des Rath’schen Anwesens grenzte, hätte doppelt Grund für cholerische Einwände. Als Mitglied des Bauausschusses hatte er zu denen gehört, die die Vier-Hektar-Zone überhaupt erst durchgesetzt hatten, »um die ländliche Schönheit von South Bay zu bewahren«, und vor über fünfzehn Jahren hatte er einen persönlichen Kreuzzug gegen alle Bemühungen unternommen, die Bauvorschriften zu verändern. Seine Reaktion darauf, dass ein Grundstück so nahe an seinem Land in ein Siedlungsprojekt umgewandelt würde, wäre pittoresk, sinnierte Bernstein grimmig, und er hoffte, sie nicht erleben zu müssen.
Das Schlimmste an einem solchen Streit wäre, dachte Bernstein, dass die Argumente dafür, Rath sein Land unterteilen zu lassen, ebenso cholerisch wie die dagegen geführt würden. Bob Murphy, seit 1931 Mitglied des Bauausschusses, würde den Fall als Vorwand nutzen, um seinen endlosen Kampf gegen die, wie er sie nannte, »privilegierten Wenigen« fortzuführen. Und die alte Mrs Allison, das vierte Mitglied des Ausschusses, würde zweifellos allen auf beiden Seiten der Kontroverse beipflichten, am Ende aber für den jungen Rath stimmen, weil sie in ihm fast sicher den Außenseiter sähe.
Hätte es im Bauausschuss ein fünftes Mitglied gegeben, dann hätte Bernstein mit nur geringer Möglichkeit eines Irrtums vorhersagen können, wie die Sache ausgehen würde, doch ein fünftes Mitglied gab es nicht. Der Posten war vakant und schien es auf lange Zeit auch zu bleiben. Er war vakant, seit Harold Mathews, ein schmallippiger Yankee, der jeden Fall für sich betrachtet hatte, vor einem Monat gestorben war, denn jedes Mal, wenn jemand als Nachfolger Mathews’ genannt wurde, gab es helle Aufregung bei denen, die glaubten, das neue Mitglied würde die
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