Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Dieser Schuldkomplex basiere möglicherweise auf der Furcht, homosexuell zu sein, hatte er gesagt. Für Hopkins, der sich nie bewusst Gedanken wegen Homosexualität oder Schuld gemacht hatte, war das alles völliger Blödsinn gewesen, aber er hatte versucht, es zu glauben, denn der Analytiker hatte gesagt, es sei notwendig, daran zu glauben, geheilt zu werden, und Hopkins hatte geheilt werden wollen, um seine Frau glücklich zu machen.
Das Dumme war nur gewesen, dass jedes Mal, wenn er den Analytiker verließ, die Versuchung, ins Büro zu gehen und sich in Arbeit zu vergraben, unwiderstehlich geworden war. Am Ende zweier Jahre war er der jüngste Vizepräsident von United Broadcasting geworden und hatte seiner Frau gesagt, er werde für Psychoanalyse jetzt einfach keine Zeit mehr haben.
Kurz darauf hatte er sich eine Wohnung für Geschäftstreffen in New York gemietet und es sich nach und nach angewöhnt, sein Zuhause, das damals in Darien gewesen war, wochenlang am Stück zu meiden. Seine Frau hatte keine Einwände gehabt. Sie hatte sich eine Zeitlang für Pferde interessiert und, nachdem sie das satthatte, unablässig Partys gegeben. Nachdem Susan 1935 geboren worden war, hatte sie die Partys abrupt beendet und sich mit Hingabe aufs Muttersein gestürzt, hatte das Kindermädchen gefeuert, das sich um ihren Sohn gekümmert hatte, und sich mit avantgardistischen Eltern umgeben, die über ihre Kinder wie Psychiater über ihre Klienten sprachen. Hopkins hatte sich nie darüber beklagt – er war ihr zu dankbar dafür gewesen, dass sie ihn in Ruhe ließ und, wie er es sah, seine Defizite als Vater ausglich.
Bis 1943 war alles ganz gut gelaufen, aber dann fiel Robert, ihr Sohn, im Krieg. Hopkins war nach Hause geeilt, als seine Frau es ihm am Telefon gesagt hatte, und hatte versucht, Mitgefühl zu zeigen, doch sie hatte nur gesagt: »Du hast ihn doch gar nicht gekannt! Du hast ihn gar nicht gekannt!« Hopkins war drei Tage bei ihr geblieben, und an deren Ende war er in sein Büro zurückgekehrt und hatte sich heftiger denn je in die Arbeit gestürzt.
»Treten Sie kürzer!«, hatten seitdem die Ärzte regelmäßig gesagt. »Sie müssen kürzertreten!« Helen aber, seine Frau, hatte das nicht mehr gesagt. Nach Roberts Tod war sie für kurze Zeit in ein Sanatorium gegangen. Ihre Tochter Susan hatte sie beim Personal gelassen. Nach ihrer Rückkehr aus dem Sanatorium hatte Helen wieder mit den Partys angefangen und begonnen, den großen Prachtbau in South Bay zu planen, hatte die Jolle gekauft und war offenbar glücklicher denn je in ihrem Leben.
»Dieser Verkehr!«, sagte Hopkins nun, als er in seiner Limousine saß und auf die Fußgänger auf dem Gehweg schaute, die schneller vorankamen. »Schrecklich, dieser Verkehr!« Er lehnte sich zurück und versuchte bewusst, sich zu entspannen, doch es war unmöglich. Ein Polizist ließ einen gellenden Pfiff ertönen, und ein Taxifahrer vor ihm fluchte laut. Hopkins schloss die Augen. Es war lächerlich, sich Sorgen zu machen, es war unproduktiv. Es wäre besser, an die Zukunft zu denken, an Dinge, die zu tun waren. Beispielsweise, die Rede über psychische Gesundheit zu überarbeiten. Hopkins zog eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. »Miss MacDonald«, sagte er, »es sieht wohl so aus, als würden wir noch eine ganze Weile in diesem Verkehr stecken. Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein Diktat aufzunehmen?«
23
»Sie wollen den Turm für Flugbeobachter«, sagte Betsy zu Tom, als er Freitagabend von der Arbeit nach Hause kam.
»Was?«, fragte er erstaunt.
»Zivilschutz – sie machen hier Pläne für den Zivilschutz. Sie wollen unseren Turm für Flugbeobachtungen, bis sie was Dauerhaftes gefunden haben.«
»O Gott«, stöhnte Tom.
»Willst du das nicht?«
»Doch, doch«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, das klingt so absurd. Was wollen die denn von uns?«
»Bloß dass wir ihnen für ein paar Wochen den Turm zur Verfügung stellen. Es ist der höchste Ort in South Bay, sagen sie, und hat den besten Blick. Warum ist das denn absurd?«
»Ist es ja gar nicht«, sagte er. »Ich bin nur müde, und ich möchte nicht wieder an einen neuen Krieg denken. Ich habe tausend andere Dinge zu tun.«
»Setz dich erst mal hin und trink was«, sagte Betsy. »In ein paar Minuten ist das Essen fertig.«
In jener Nacht lag Tom noch lange wach und dachte an Maria, an den Anspruch des alten Edward auf das Anwesen, an Bauvorschriften und an das Treffen, das er am Vormittag mit
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