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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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war, ein Mädchen, das später, wie sich zeigte, den dicken Orchesterdirigenten heiratete, der bei den meisten Tänzen in jenem Jahr spielte, und ihm einen Sohn schenkte, um sich dann von ihm scheiden zu lassen. Toms Blick war auch über die unansehnlichen Mädchen geschwenkt, die am Rand saßen oder mit ihren Brüdern tanzten. So war sein Blick über die Tanzfläche geschweift, bis er bei Betsy hängen blieb.
    Wie merkwürdig tröstlich es war, jetzt zurückzublicken und zu erkennen, dass die Verzauberung, die er an jenem Abend beim ersten Blick auf sie verspürt hatte, eben doch so unsentimental real und faktisch gewesen war wie jede hässliche Emotion oder Wahrheit, deren er sich erinnern konnte. Ebenso tröstlich war die Überlegung, dass das, was er an jenem Abend empfunden hatte, sich noch immer jeder Analyse widersetzte. Sicher, Betsys Figur hatte nie darauf abgezielt, den Puls junger Männer zu dämpfen, aber gewiss hatte es auch noch andere Mädchen in dem Saal mit ebenso trefflichen Maßen gegeben. Die Anmut, mit der Betsy sich bewegte, wie ihr funkelndes weißes Kleid die warmen Töne ihrer Haut und Haare unterstrichen hatte, der Schwung ihrer Wangen, ihr blitzendes Lächeln – natürlich hatten all diese Dinge ihre Wirkung gehabt, aber es war noch mehr gewesen, viel mehr, das von keiner Kamera hätte erfasst werden können, nicht mit allem Technicolor der Welt. Noch im selben Augenblick, als er sie sah, wollte er sie heiraten, was, als er es ihr Monate später erzählt hatte, so banal klang, dass sie beide lachten und sich plötzlich albern vorkamen. Doch es war die Wahrheit gewesen, und an jenem Abend war er davon so durcheinander gewesen, dass er noch lange dastand und ihr zusah, wie sie mit anderen tanzte, bevor er den Mut aufbrachte, über die Tanzfläche zu gehen und ihren Partner abzuklatschen.
    »Wer bist du?«, hatte er gefragt.
    »Betsy Donner.«
    »Die Dame des Abends!«, hatte er erwidert und dabei gehofft, seine Stimme möge leicht und kultiviert klingen. »Eine hübsche Party.«
    »Eine schöne Party!«, hatte sie gesagt. »Das sollte ich vermutlich nicht sagen, aber es ist so.«
    Es war gewesen, als schwebte sie. Er war nie ein guter Tänzer gewesen, aber ihre Füße hatten kaum den Boden berührt, und er hatte sich plötzlich elegant gefunden. Dann hatte sich eine Hand auf seine Schulter gelegt, und sie war zu einem anderen gewechselt.
    Das ist ja nur normal, hatte er gedacht – sie ist ein hübsches Mädchen, und es ist ihre Party, und jeder muss wenigstens einmal mit ihr tanzen. Aber es hatte ihn verstört, dass er nicht länger als ein paar Minuten mit ihr zusammen sein konnte.
    Und da hatte alles begonnen. Danach waren sie drei Jahre ins Kino, zu Footballspielen, zu College-Tänzen und in Nachtclubs gegangen und hatten das ganze Unterhaltungsritual absolviert, das der Heirat vorausging. Er hatte ihr auf der Mandoline vorgespielt – sie hatte sie ein putziges, altmodisches Instrument genannt. Sie hatten geredet. Damals war Tom sicher gewesen, er werde ein paar Jahre nach Kriegsende reich sein, auch wenn er sich nicht weiter überlegt hatte, womit er reich werden würde. Sie hatten sich geküsst. Damals hatten sie weit weniger voneinander gewusst als einer in der Personalabteilung über eine potenzielle Stenotypistin, doch fast beiläufig, sicher ohne etwas, was als Gedanke bezeichnet werden konnte, allein aufgrund eines Kusses, hatte sie eingewilligt, ihn zu heiraten, und es überhaupt nicht merkwürdig gefunden.
    Ich hatte Glück, dachte Tom nun, als er auf die langsam rotierenden Flaschen mitten in der Hotelbar in Atlantic City starrte. Dieses eine Mal hatte ich Glück. In dem Alter hätte ich mich in jedes hohlköpfige Mädchen mit einer guten Figur verlieben können, aber ich hatte Glück – dieses eine Mal ist alles gut geworden.
    Wie seltsam sind doch Erinnerungen, dachte er. Die arme Betsy, sie hätte einen mit Geld heiraten können, einen, der sie heute jeden Winter nach Florida bringen könnte, einen ohne alle Sorgen, der lächeln würde und fröhlich wäre, während die Köchin das Abendessen machte und das Serviermädchen es auftrug und Betsy lächelnd dasaß. 1939 hatten mehrere reiche junge Männer um Betsy geworben, und offenbar ohne nachzudenken hatte sie sie alle abgewiesen, weil sie sie in dem Moment nicht gereizt hatten, und sie hatte Tom aufgrund eines Kusses genommen und dabei überhaupt nicht ans Geld gedacht.
    Wie unglaublich naiv wir da waren, dachte er nun,

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