Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
als er auf die rotierende Flaschenpyramide schaute. Wie unglaublich unschuldig, als wir in meinem Wagen anhielten und uns Sorgen machten, weil wir nicht aufhören konnten, einander zu lieben! Einmal, als sie irgendwo standen, hatte ein Polizist auf einem Motorrad zu ihnen hineingeleuchtet, und Betsy war zusammengezuckt, als hätte sie sich verbrannt. Der Polizist hatte gegrinst und gesagt: »Na schön, Kinder, nun macht aber mal Schluss!« Und dann war er weitergefahren auf seiner Runde, und sein Licht war in einer Kurve verschwunden.
Ob es ihr wohl leidtut, dachte Tom. Es ist ja nicht nur das Geld – ob sie sich wohl wünscht, sie hätte einen Mann, der zu Hause fröhlich ist.
Komisch, was aus Leuten wird, dachte er. Damals waren wir gleich, Betsy und ich, unsere Erfahrungen waren alle gleich gewesen, und es gab nichts, was wir einander nicht erklären konnten. Wir waren zuversichtlich – mein Gott, nie haben wir uns Sorgen gemacht! Vor uns lag noch der ganze Krieg, und wir haben uns keine Sorgen gemacht. Wir waren sicher, dass ich den Krieg überstehen und ein Held werden würde. Er erinnerte sich an das Bild von sich, das er vor Augen gehabt hatte, ein klares Bild von sich selbst, ein Soldat in einem fremden Land, traurig und müde, aber sauber und unverwundet, der an Weihnachten an Betsy dachte, der traurige, tapfere Briefe über seine Freunde schrieb, die gestorben waren.
Es wäre nicht so schlimm, Soldat zu sein, hatte er gedacht – er hatte sich in einem lustigen französischen Wirtshaus sitzen sehen, vielleicht auch in einer Ecke einer romantischen, spartanischen Kaserne, wo er Soldatenlieder sang – Sachen wie »Pack Up Your Troubles in Your Old Kit Bag, and Smile, Smile, Smile«. Vielleicht würde er seine Mandoline mitnehmen, hatte er gedacht – das würde ihn bei der Armee beliebt machen.
Die Zukunft war in jenen Tagen vollkommen vorhersehbar erschienen. Betsy würde wie eine Dame weinen, wenn er nach Übersee fuhr mit seiner Mandoline, aber er würde unversehrt heimkehren und die Fifth Avenue entlangmarschieren, und sie würde sich ihm in die Arme werfen und sagen: »Schatz, du bist zu mir zurückgekommen!«, und alles wäre traurig und tapfer und froh, wie ein Film über den Ersten Weltkrieg.
Und das Komische war, alles war auch so gekommen, mehr oder weniger. Wenigstens der Anfang war dem Drehbuch gefolgt. Er hatte seine Grundausbildung gemacht und unter anderem auch seine Mandoline mitgenommen, und er hatte sie sogar auch manchmal gespielt, und einige Männer hatten sich um ihn versammelt und gesungen. Doch als er erfahren hatte, dass er nach Übersee gehen würde, hatte er die Mandoline zusammen mit anderen überflüssigen Dingen nach Hause geschickt – irgendwie war ihm da schon die Vorstellung, dass ein Fallschirmjäger mit einer Mandoline nach Europa kam, lächerlich erschienen. Damit hatte die Zerstörung des Drehbuchs ihren Anfang genommen, auch wenn es den Grundzügen in erstaunlichem Maße gefolgt war. Er war wohl auch ein Held gewesen und hatte zum Beweis dafür drei Orden verliehen bekommen. Er war nicht verwundet worden. Er war nach Hause gekommen, und Betsy hatte am Kai auf den Transporter gewartet. Sie war, als er das Fallreep herabkam, aus der Menge gerannt, hatte die Arme um ihn geworfen und gesagt: »Schatz, du bist zu mir zurückgekommen!«
Das hatte sie gesagt und es aus tiefstem Herzen auch gemeint, und es war nicht ihre Schuld gewesen, dass die Worte für ihn wie eine Satire klangen. Er hatte sie ein Stück von sich weggehalten und gesehen, dass sie eine Frau war, die jeder gern gehabt hätte. An dem Tag hatte sie ein neues Kleid getragen, das sie extra für diesen Anlass gekauft hatte, ein lebhaftes rotes Kleid, das ihre Figur noch betonte, ein extravagantes Kleid, das sie in einer extravaganten Stimmung an dem Tag, als sie hörte, dass er tatsächlich auf dem Heimweg war, gekauft hatte. Sie hatte ihn leidenschaftlich geküsst, und ihm war ganz so gewesen, als wäre eine schöne Frau, die er noch nie gesehen hatte, aus der Menge gerannt und hätte sich darangemacht, ihn zu lieben. Er war ungläubig, verlegen, beschämt und unwillentlich lüstern gewesen. Das Lustgefühl hatte ihn entsetzt, ihm das Gefühl gegeben, Maria untreu zu sein und auch der Betsy, wie er sie von sehr viel früher in Erinnerung hatte, als junges Mädchen, das mit Liebe genommen werden sollte, nicht mit diesem Gefühl, das er für eine hübsche Fremde hätte, die ihn, unglaublich, auf der Straße
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