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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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umschlang.
    »Ich habe schon ein Hotelzimmer reserviert«, hatte sie gesagt. »Heute Abend bringe ich dich nicht zu deiner Großmutter.«
    Sie waren ins Hotel gegangen, und ihr Liebesspiel war intensiv, kurz und unbefriedigend gewesen, und danach war er zutiefst verwirrt und beschämt gewesen. Als es vorbei war, hatte ihn ihre Fröhlichkeit überrascht. Sie hatte Gläser eingeschenkt, sich, eine Zigarette in der Hand, in einen großen Sessel gesetzt, sich zurückgelehnt und gesagt: »Hättest du was dagegen, vom Krieg zu erzählen? Ich möchte dich unbedingt alles Mögliche fragen.«
    »Da gibt’s nicht viel zu erzählen«, hatte er gesagt. »Was möchtest du denn morgen machen?«
    Betsy war nie unsensibel gewesen. Sie hatte ihn nicht weiter bedrängt, und voller Dankbarkeit hatte er gemerkt, dass er ihr nie etwas über den Krieg erzählen musste, nichts über Maria, nichts über Mahoney, über gar nichts. So ist es besser, hatte er gedacht, viel besser für uns beide.
    Offenbar hatte sie seine Zurückhaltung nicht gestört. Noch in jener Nacht hatten sie ausgelassen über die Zukunft geredet. Während er ihr zugehört hatte, war ihm allmählich aufgegangen, dass in der hübschen jungen Frau, die ihm da in einem Seidenpyjama gegenübersaß, er selbst von 1939 steckte. Sie war eine Art alte, unveränderte Version seiner selbst. Sie war die lockere Sicherheit, dass er eine Arbeit finden werde, die ihn bald zur Vizepräsidentschaft von J. H. Nottersby führen würde oder eben einer Firma mit einem Namen, der so klingen müsste. Es war all der halb erinnerte Optimismus, der implizite Glaube, dass sie schon bald in ein Haus ähnlich George Washingtons Mount Vernon ziehen würden, mit netten alten Negerdienern, die andauernd nickten und sangen, eines, in dem sie in Würde altern würden, nicht dick werden, sondern nur ein wenig grau an den Schläfen, eine Villa, in der sie natürlich glücklich sein würden, richtig glücklich für den Rest ihres Lebens.
    Das Dumme war nicht nur gewesen, dass er an diesen Traum gar nicht mehr glaubte, sondern auch, dass er ihn nicht einmal interessant oder in seiner Unwahrscheinlichkeit traurig fand. Wie ein alter Mann hatte er sich nicht mit der Zukunft, sondern mit der Vergangenheit beschäftigt. Er hatte sich verändert, sie nicht.
    In jener Nacht hatte er ihr beinahe väterlich zugehört. »Ich weiß nicht, was ich machen will«, hatte er gesagt, als sie gefragt hatte, ob er denn schon bestimmte Vorstellungen von einer Arbeit habe. »Das müssen wir uns mal überlegen.«
    »Ich weiß, du wirst Erfolg haben, egal was du machst«, hatte sie gesagt, und ihr ganzer Glückstraum von der Zukunft hatte fast greifbar vor ihr gehangen wie die Bilder von Träumen, die Leute in Comics haben.
    Aber natürlich war ihr Traum nicht wahr geworden – das fand er nun um ihretwillen traurig. Statt ein Haus wie Mount Vernon zu bekommen, waren sie in das Häuschen in der Greentree Avenue in Westport gezogen, und Betsy war schwanger geworden, und er hatte die Vase an die Wand geworfen, und die Waschmaschine war kaputtgegangen. Und Großmutter war gestorben und hatte das Haus jemand anderem vermacht, und statt Vizepräsident von J. H. Nottersby, Inc., zu werden, war er nun an einem Job angelangt, wo er Matratzen testete, unruhig wurde, wenn der Chef ihn sprechen wollte und nicht sagte, worüber, und in Angst vor einem Fahrstuhlführer lebte.
    Ich hoffe nur, Betsy tut es nicht leid, dachte er. Wenn ich diese Stelle verliere und nehmen muss, was ich kriegen kann, dann hoffe ich, dass es ihr immer noch nicht leidtut. Ich hoffe, sie wird nie von Maria erfahren.
    »Hallo«, sagte jemand.
    Er schaute auf und sah eine hübsche, dunkelhaarige junge Frau in einem kupferfarbenen Abendkleid neben sich an der Bar sitzen. »Sie wirken so gedankenverloren«, sagte sie.
    Er lächelte. »Ich habe nachgedacht«, antwortete er.
    »Schlechte Angewohnheit«, sagte die Frau. »Ganz schlechte Angewohnheit. Ich heiße Marie. Möchten Sie zu unserer Party kommen?«
    »Danke«, sagte er hastig. »Nein, ich kann nicht.« Er stand auf und verließ, seltsam unruhig, den Raum.

25
    An jenem Abend ging Tom nach dem Abendessen auf sein Zimmer und legte sich hin. Es ist Betsy gegenüber nicht fair, dachte er, wenn ich mich an die Wochen mit Maria immer noch als die glücklichsten meines Lebens erinnere. Es war nicht der Unterschied zwischen zwei Frauen, sondern lediglich verschiedene Umstände. Als er und Betsy sich 1939 kennengelernt

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