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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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und ihm von Zeit zu Zeit mit einem merkwürdigen Zögern die Hand aufs Knie gelegt, fast als wäre es dunkel und sie wollte sich überzeugen, dass er noch da war. Einmal, als er an einer Kreuzung hielt, hatte sie sich zu ihm hingebeugt und ihn mit fast schmerzlicher Intensität auf den Mund geküsst. Das war etwas Eigenartiges und Wunderbares an ihr gewesen, das er erst allmählich verstanden hatte: ihre fast beständige Begierde, ihn zu lieben. Zuerst war er überrascht gewesen, dann hatte er gedacht, dass sie eben eine ideale und wahrscheinlich auch geübte Soldatenbraut war, und hatte ihr Ungestüm ein wenig zynisch betrachtet. Aber nachdem er sie ein paar Tage gekannt hatte, war ihm klar geworden, dass körperliche Liebe die einzige Form von Bestätigung war, die sie kannte, und dass sie nur dann vollkommen glücklich und sich seiner sicher war, wenn sie ihn liebkoste und ihm Lust bereitete, und dass sie ihn vor allem deswegen ständig verführte. Sie hatte Angst, ebenso viel Angst wie er, hatte er gemerkt. An dem Tag, als sie durch den Regen fuhren, hatte sie ihm ein wenig aus ihrer Vergangenheit erzählt. Das Dorf, in dem sie mit ihren Eltern gelebt hatte, war als eines der ersten von der Invasion betroffen gewesen. Die Deutschen hatten dort noch kurz Widerstand geleistet, und die Flugzeuge hatten Phosphorbomben abgeworfen. Ihre Eltern hatten sich geweigert, in den Luftschutzraum zu gehen, weil sie fürchteten, ihr Haus werde geplündert, wenn sie es verließen, sie aber hatte man dazu gezwungen. Als sie dann aus dem Unterstand gekrochen war, nachdem eine Bombe ganz in der Nähe detoniert war, hatte sie ihr Haus lichterloh brennen sehen, und ihr Vater war herausgetaumelt, ihre Mutter auf den Armen, beide in Flammen eingehüllt. Die anderen Leute in dem Luftschutzraum hatten sie zurückgehalten. Ihr Vater war schon nach wenigen Schritten zusammengebrochen, und dann hatten ihre Eltern im rechten Winkel zueinander gelegen und gebrannt wie ein loderndes Kreuz. Als sie Tom davon erzählte, war ihr Ton objektiv, fast sachlich gewesen. Die Tränen waren erst geflossen, als er impulsiv angehalten und die Arme um sie gelegt hatte in dem überwältigenden Verlangen, sie zu trösten, obwohl er wusste, dass es für solche Dinge keinen Trost gibt. Zehn Minuten lang hatte sie heftig geweint, und ihr Schluchzen war desto quälender gewesen, weil es lautlos durch zusammengebissene Zähne und zugepresste Lippen gedrungen war. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, hatte sie aus ihrer ramponierten Handtasche eine billige Puderdose aus Goldimitat gezogen, aufgeklappt und sich das Gesicht gepudert. Mehrere Sekunden lang hatte sie sich dann in dem kleinen, trüben Spiegel betrachtet. »Findest du mich schön?«, hatte sie gefragt.
    »Sehr schön.«
    »Nicht schön genug, um dich zu halten. Jeder stirbt oder geht weg.«
    Da er nicht lügen oder eine grausame Wahrheit sagen wollte, hatte er ihr nicht widersprochen. Er hatte nichts gesagt, sondern sie geküsst, und sie hatte den Kuss mit aller Leidenschaft erwidert, die in ihren stummen Tränen unterdrückt gewesen war. »Sag mir noch mal, dass ich schön bin«, hatte sie gesagt.
    Er hatte es getan. Sie hatte geseufzt und gesagt: »Na gut. Fahren wir weiter.«
    Eine Stunde lang waren sie schweigend herumgefahren. Gegen Mittag hatten sie Hunger bekommen und waren in dem hügeligen Gelände auf eine schmale Straße abgebogen, auf der Suche nach einer Stelle, wo sie dem Regen entkommen und etwas essen konnten. Sie waren vielleicht eine halbe Stunde gefahren, als sie an eine verlassene Villa kamen, deren Ostseite von Artilleriefeuer zerstört worden war. Das Grundstück um die Villa herum war stark zerwühlt, die gelbbraun verputzten Wände pockennarbig von Maschinengewehrkugeln. Er war langsam die Einfahrt hineingefahren, die den Bau umrundete, vorbei an einem Swimmingpool, der voller herabgefallener Gipsbrocken war. Auf eine Eingebung hin hatte er dann das Steuer des Jeeps plötzlich herumgerissen und war zwischen zwei geborstenen Säulen hindurch über einen gefliesten, mit Schutt übersäten Hof unter einen Teil des Daches gefahren, unter dem früher einmal ein Vorraum gewesen sein musste. Dort hatte er angehalten, und voller Staunen über die wunderbare Dienlichkeit der Ruine, die ihnen gestattete, aus dem Regen herauszufahren, waren sie ausgestiegen. Er hatte die Motorhaube aufgemacht und außer dem Zündschlüssel noch einen Teil des Verteilers mitgenommen, damit niemand den Wagen

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