Der Mann im Karton
und Alberta
nachzulaufen begann«, sagte sie gelassen. »Vielleicht hat er einen Tick
bezüglich überentwickelter Primadonnen — und vielleicht liegt darin auch der
Grund, daß er jetzt tot ist. Ich bedaure seinen Tod, lieber Freund, aber wahre
Trauer hebt man sich doch für wirklich wichtige Anlässe auf — etwa, wenn man am
Tag der Premiere Halsentzündung bekommt.«
»Es hängt wohl alles von der
Betrachtungsweise ab«, sagte ich leicht erschüttert. »Ihre würde ich nicht
gerade leichtverständlich nennen, aber sie erlaubt immerhin eine Erklärung.«
Sie nahm beide Hände zu Hilfe,
um die Knopfleiste meines Hemds zu ruinieren, dann löste sie den Schärpenknoten und zuckte so heftig die Schultern, bis das
Oberteil das nicht mehr länger mitmachte. Und dann klebte sie an mir wie eine
überhitzte Klette, ihr Haar vernebelte meinen Blick wie eine dunkle Wolke, und
ihre Augen sprachen dicke Bände.
Plötzlich und schmerzhaft
spürte ich ihre Fingernägel auf meinem Rücken. Ich schrie ganz unfreiwillig,
weil sie mir kleine Hautfetzen von der Wirbelsäule zu klauben begannen, und
bohrte meinerseits sämtliche Nägel heftig in die Gegend des oberen
Satinhosenendes — aus purer Notwehr.
»Huhu...« flüsterte sie
verträumt.
Und dann konnte ich nicht mehr
schreien, weil sie mir den Mund zubiß , derweil ihre
Finger emsiger als die emsigsten Bienchen ihre Hautsammlung auf meinem Rücken
fortsetzten.
4
Am nächsten Morgen gegen halb
zehn fand ich mich in Kasplins Büro ein, wo seine
Rothaarige mich mit unfreundlichen Augen empfing.
»Mr. Kasplin ist nicht da«, schnauzte sie.
» Welch ein Jammer«, meinte ich. »Er wird doch hoffentlich nicht ganz und gar
verschwunden sein?«
Ihre Augen weiteten sich ein
bißchen, sie starrte mich an. Ich erkannte deutlich die dunklen Ringe darunter,
und selbst der superdick aufgetragene Lippenstift konnte nicht verbergen, wie
angeknabbert ihr reizendes Mündchen war.
»Ist es gestern
abend spät geworden, Maxine?« fragte ich voll Mitgefühl.
»Scheren Sie sich zum Teufel!«
schnarrte sie.
»Aber meine liebe Maxine«,
entgegnete ich vorwurfsvoll. »Geht man denn so mit guten alten Bekannten um?«
»Er kommt heute den ganzen Tag
nicht mehr«, erklärte sie giftig- »Wenn Sie warten wollen, dann meinetwegen —
aber hier nicht. Gehen Sie in sein Zimmer — und fallen Sie von mir aus tot um!«
»Ich habe sämtliche Sinne noch
gut beisammen«, belehrte ich sie. »Und welcher vernünftige Mensch würde schon
stundenlang auf Kasplin warten?«
»Aber was wollen Sie denn
sonst?«
»Hat er denn nichts für mich
hinterlassen — zum Beispiel einen Scheck?«
»Ach so.« Ihr Blick hellte sich
auf. »Natürlich, in diesem Umschlag.«
Sie suchte in ihren Schubladen
herum, grub einen Umschlag aus und reichte ihn mir. Ich barg ihn sorgsam in der
Tasche, und dann verabreichte ich ihr Boyds spezielles Anerkennungsgeschenk —
beide Seiten des Profils in rascher Folge nacheinander.
Ihre Miene verzog sich kein
bißchen, woraus ich schloß, daß mit ihr etwas ernsthaft in Unordnung sein
mußte. Sie malte einen surrealistischen Nerz auf ihren Notizblock, dann sah sie
mich nochmals an.
»Sie sind ja immer noch da.«
»Aber jetzt gehe ich«, erklärte
ich bedauernd. »Und dabei hätten wir beide so schön zusammen musizieren können,
Maxine. Sie sollten mich mal mit einem Taktstock sehen — so einen Dirigenten
haben Sie noch nie erlebt.«
»Das glaube ich gern«, spottete
sie. »Aber für ein Duett mit mir fehlt Ihnen gewiß die Ausdauer, verehrter
Herr.«
Auf dem Heimweg sann ich nach,
ob sie vielleicht recht hatte, jedenfalls hätte ich gern mal die Probe aufs
Exempel gemacht. Als ich im Büro anlangte, begrüßte mich Fran Jordan mit einem
wahren Beileidsblick.
»Nachdem du offenbar gestern abend jemand umgebracht hast«, sagte sie munter,
»ist wenigstens auch die Zahlung schon eingegangen — heute früh per Boten.«
»Was?« Ich sperrte Mund und
Ohren auf.
»Ein Scheck über tausend
Dollar, ausgestellt von Margot Lynn.« Sie lächelte honigsüß. »Wenn du dafür
keinen umgebracht hast — was willst du denn sonst vollbracht haben, das soviel Geld wert ist?«
»Nur meine angeborene
Bescheidenheit verbietet mir, das Geheimnis zu enthüllen«, erklärte ich
aalglatt.
»Und ich dachte an einen Mord«,
meinte Fran beiläufig. »Warum sollte denn sonst dieser Leutnant auf dich
warten?«
»Leutnant — was für ein
Leutnant?«
»Chase heißt er.«
»Wie lang
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