Der Mann im Karton
hat mich gebeten. Der Inspizient kann
meine Aussage überdies bestätigen, wir waren während der ganzen Zeit in seiner
Klause zusammen, die Pause ausgenommen.«
»Die Lynn ist Ihre Klientin,
nicht wahr?«
»Das stimmt«, gab ich zu. »Sie
war nervös, und deshalb verlangte sie nach mir.«
»Wieso nervös?« bellte Chase.
Ich zuckte die Schultern. »Halt
nervös, wie’s jeder mal ist.«
»Ich habe das unangenehme
Gefühl, daß Sie mir etwas verschweigen, Boyd«, sagte er eisig. »Wenn Ihnen
etwas bekannt ist, das ich noch nicht weiß, dann sollten Sie es mir schleunigst
anvertrauen.«
»Wenn ich hieb- und stichfeste
Beweise in Händen habe, informiere ich Sie sofort, Leutnant«, sagte ich
vorsichtig.
»Sicher.« Er schien nicht überzeugt.
»Diese ganze Sache geht mir auf die Nerven. Erst springt einem eine
Schachtelmännchen-Leiche entgegen, und nun das hier: ein abgeschlagener Kopf,
der mitten in einer Oper auf einem Tablett herumgereicht wird.« Er schüttelte
langsam den Kopf. »Was für ein Verrückter steckt da bloß wieder dahinter?«
»Ich kann mir gar nicht
vorstellen, wie er das fertiggebracht hat«, sagte ich. »Weil doch ständig soviel Menschen hinter der Bühne waren.«
»Unter der Bühne führt ein Gang
zu dieser Falltür«, sagte Chase. »Er beginnt ganz hinten in den Kulissen, wo
ein Haufen altes Gerümpel herumliegt. Und da alles stark beschäftigt war und
aller Augenmerk den Vorgängen auf der Bühne galt, da konnte sich schon jemand
einschleichen. Der Requisiteur hat den Tonkopf und den Schild unten an die
Leiter gelegt, die zur Falltür führt. Unmittelbar nach der Pause hat Tybolt dann den Gang betreten. Im zweiten Akt gibt es eine
Stelle, an der Salome sich von oben mit ihm in der Zisterne unterhält, stimmt’s?«
»Stimmt«, bestätigte ich.
»Die einzige Person, die danach
hinunterstieg, war der Mann, der den Henker spielt. Wie er mir erzählte, war es
unten ziemlich duster . Schild und Kopf befanden sich,
wo sie hingehörten, also nahm er beides und reichte es Donna Alberta, ohne noch
mal genau draufzuschauen.«
»Und wo war die Leiche?« fragte
ich.
»Sie lag in diesem Gang. Aber
von der Tatwaffe fehlt jede Spur.« Chase schüttelte erneut den Kopf. »Der Täter
muß ein Fleischerbeil benutzt haben, um Tybolt auf
diese Weise enthaupten zu können. Mit einem einzigen, sauberen Hieb!«
Ich verschwendete nicht allzu
viele Gedanken an diese Szene. »Der Mörder muß also im Gang auf Tybolt gelauert haben?«
»So sieht es aus«, meinte Chase
grimmig. »Er muß gewartet haben, bis Tybolt seine
letzte Note gesungen hatte, dann hat er ihn umgebracht.«
»Und ihm den Kopf abgehackt und
den mit dem Tonmodell vertauscht, das schon auf dem Schild lag«, ergänzte ich
nervös. »Wenn ich nur dran denke...«
»Die Leiche lag beim Eingang zu
den Kulissen«, knurrte der Leutnant. »Weit genug von der Falltür entfernt, so
daß der Henker sie nicht bemerken konnte, als er herunterstieg.«
Ich zündete mir eine Zigarette
an und versuchte, der Sache die bessere Seite abzugewinnen. »Meine Klientin hat
jedenfalls nichts damit zu tun. Sie war nach der Pause ununterbrochen auf der
Bühne. Margot Lynn kann es nicht gewesen sein.«
»Ja, das weiß ich.« Chases
schlechte Laune kehrte zurück. »Und aus demselben Grund kommen weder Navarre noch Donna Alberta als Täter in Frage. Ich glaube,
daß Kendall und Tybolt von ein und derselben Person
ermordet wurden, und dieser zweite Mord kürzt die Verdächtigenliste erheblich — es bleiben nur drei Namen drauf: Harvey, Kasplin und die Mills.«
»Sie haben alle kein Alibi?«
Chase schnaubte verächtlich.
»Harvey gibt an, er sei während der ganzen Zeit mit seinem Genossen Benny
Carter im Büro des Managers gewesen. Aber wer glaubt schon einem
Dreigroschenstrolch mit einer Vorstrafenlatte wie Benny? Kasplin behauptet, Tybolt habe ihn in der Pause angesprochen
und gesagt, er habe ihm etwas Wichtiges vertraulich mitzuteilen, deshalb solle Kasplin doch bitte in seiner Garderobe warten, bis er sein
Stückchen unter der Bühne gesungen habe. Kasplin will
also geduldig in Tybolts Garderobe gewartet haben.
Dort saß er übrigens noch, als jemand hineinkam und ihm zurief, daß ein Mord
passiert sei.«
»Und das glauben Sie ihm?«
fragte ich.
»Zu bedeuten hat alles nichts«,
sagte Chase achselzuckend. »Ob er die Wahrheit sagt oder lügt, ich muß Beweise
vorlegen, und das wird nicht leicht sein.«
»Und was ist mit Helen Mills?«
Er rümpfte
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