Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im Labyrinth

Der Mann im Labyrinth

Titel: Der Mann im Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
zusammenzusetzen, weil sie das strukturelle Gefüge einfach nicht verstehen konnten. Als sie es dennoch versuchten, fiel alles auseinander, und die ganze Anlage war für immer verloren. Einige Monate später habe ich die Ruinen zufällig mit eigenen Augen sehen können. Aber dir ist dieser Fall sicher bekannt.“
    Rawlins hatte noch nie davon gehört. Errötend sagte er: „Nun, in jeder Disziplin gibt es immer wieder Pfuscher und Scharlatane …“
    „Ich hoffe, von denen habt Ihr keine mitgebracht. Ich möchte nicht, daß das Labyrinth beschädigt wird. Aber dazu werdet ihr sowieso kaum Gelegenheit haben. Es kann sich nämlich recht gut verteidigen.“ Muller marschierte lässig von dem Pfeiler weg. Rawlins atmete heimlich auf, als die Distanz zwischen ihnen größer wurde, aber Boardman drängte ihn zu folgen. Die Taktik zur Eindämmung von Mullers Mißtrauen sah auch vor, ihm freiwillig zu folgen und sich ohne eigene Schonung seiner Strahlung auszusetzen. Muller drehte sich nicht um, als er, mehr zu sich selbst, sagte: „Die Käfige sind wieder geschlossen.“
    „Käfige?“
    „Sieh dorthin … auf die Straße, die vom Platz ausgeht.“
    Rawlins entdeckte einen Alkoven vor einer Gebäudewand. Aus dem Boden ragten ein Dutzend oder mehr nach oben gebogener Streben aus weißem Gestein. In einer Höhe von etwa vier Metern verschwanden sie in der Wand und bildeten so eine Art Käfig. Weiter oben auf der Straße konnte Ned einen zweiten solchen Käfig ausmachen.
    „Es gibt etwa zwanzig von ihnen“, sagte Muller. „Sie sind symmetrisch auf den Straßen rund um den Platz angeordnet. Seit ich hier bin, haben sie sich dreimal geöffnet. Dann sind diese Streben in die Straße zurückgeglitten. Das letzte Mal vor zwei Nächten. Ich habe noch nie miterlebt, wie die Käfige sich geöffnet oder geschlossen haben. Und jetzt habe ich es schon wieder verpaßt.“
    „Was, glaubst du, war der Zweck dieser Käfige?“ fragte Rawlins.
    „Gefährliche Tiere festzuhalten. Oder Gefangene einzusperren. Wofür sollte man einen Käfig sonst benutzen?“
    „Aber wenn sie sich immer noch öffnen …“
    „Die Stadt ist immer noch darum bemüht, ihren Bewohnern zu dienen. Und in den Außenzonen befinden sich Feinde. Diese Käfige stehen für den Fall bereit, daß einer dieser Feinde gefangen wird, oder mehrere.“
    „Du meinst uns?“
    „Ja, Feinde.“ Paranoide Wut glitzerte plötzlich in Mullers Augen auf. Es war erschreckend, wie rasch er von einem ganz normalen Gespräch in kalten Haß überwechseln konnte. „Homo sapiens. Das gefährlichste, erbarmungsloseste und verachtungswürdigste Tier im ganzen Universum.“
    „Du sagst das so, als würdest du daran glauben.“
    „Das tue ich auch.“
    „Na, hör mal“, sagte Rawlins. „Früher hast du dein Leben dem Dienst an der Menschheit gewidmet. Da kannst du doch nicht einfach behaupten …“
    „Ich“, sagte Muller langsam, „ich habe mein Leben dem Dienst an Richard Muller gewidmet.“ Er drehte sich um und sah Rawlins direkt ins Gesicht. Sie standen nur sechs bis sieben Meter auseinander. Die Ausstrahlung kam Ned so stark vor, als befände er sich direkt vor Mullers Nase. „Es war anders, als du es dir vielleicht vorgestellt hast, mein Junge“, sagte Muller. „Ich habe mir nicht so viel aus der Menschheit gemacht. Ich habe jedoch die Sterne gesehen, und dort wollte ich hin. Ich trachtete danach, ein Gott zu werden. Eine Welt genügte mir nicht. Ich wollte alle. Also habe ich eine Karriere eingeschlagen, die mich zu den Sternen bringen würde. Tausend Mal habe ich mein Leben riskiert. Ich habe unglaubliche Temperaturextreme durchgestanden, mir die Lungen mit höchst seltsamen Gasen versengt und mußte schließlich von innen her wieder ganz neu zusammengebaut werden. Ich habe Nahrung zu mir genommen, deren bloße Erwähnung dich schon würgen lassen würde. Kinder wie du haben mich verehrt, haben Poster von mir an die Wand gehängt und Hausarbeiten über meinen selbstlosen Einsatz für die Menschheit, über meinen unermüdlichen Wissensdurst geschrieben. Aber darüber will ich dir einmal die Augen öffnen: Ich bin wahrscheinlich so selbstlos gewesen wie Kolumbus, Magellan oder Marco Polo. Sie waren große und bedeutende Entdecker, ganz ohne Frage, aber sie suchten auch und vor allem nach hübschen Profiten. Der Profit, nach dem ich strebte, kam aus dem Herzen: Ich wollte ein Riesendenkmal, hundert Kilometer hoch. Ich wollte auf tausend Welten goldene Standbilder von

Weitere Kostenlose Bücher