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Der Mann im Labyrinth

Der Mann im Labyrinth

Titel: Der Mann im Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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mir. Kennst du dich in der Weltlyrik aus? Ruhm ist der Stachel, ist der Antrieb. Das endgültige Gebrechen eines jeden aufrechten Charakters. Von Milton. Kennst du auch die alten Griechen? Wenn ein Mann sich zu weit nach oben streckt, stoßen ihn die Götter hinab. Das nennt man Hybris. Und bei mir war es ein besonders schwerer Fall von Hybris. Als ich durch die Wolken zu den Hydriern hinabfloß, kam ich mir vor wie ein Gott. Herr im Himmel, ich war ein Gott. Und auch noch, als ich durch die Wolken wieder aufstieg. Für die Hydrier bin ich ganz sicher ein Gott gewesen. Zumindest habe ich das damals gedacht: Ich bin Bestandteil ihrer Mythen, man wird ewig von mir erzählen. Vom Gott, der verstümmelt war. Vom Gott, der Marter und Pein auf sich genommen hat. Das Wesen, das zu ihnen herabstieg und in dessen Nähe sie sich so unbehaglich fühlten, daß sie es ummodeln mußten. Aber …“
    „Der Käfig …“
    „Laß mich ausreden!“ platzte es aus Muller heraus. „Weißt du, ich bin gar kein Gott gewesen, sondern nur ein elendes, sterbliches menschliches Wesen, das sich der Verblendung hingab, gottgleich zu sein. Das ist die bittere Wahrheit. Und die echten Götter haben dafür gesorgt, daß ich meine Lektionen erhielt. Sie beschlossen, mich an den behaarten Affen zu erinnern, der unter dem Plastikanzug steckte. Um meinen Verstand bei seinen luftigen Höhenflügen an das tierische Gehirn zu erinnern, dem er entsprang. Also haben die Götter es so eingerichtet, daß die Hydrier etwas Seltsames mit meinem Kopf angestellt haben, eine ihrer Spezialitäten wahrscheinlich. Ich kann nicht einmal sagen, ob sie bloß aus einer Laune heraus bösartig waren oder ob sie ehrlich darum bemüht waren, mich von meinem Defekt zu befreien … von meiner Unfähigkeit, ihnen meine Gefühle offen zu zeigen. Aliens. Wer will schon wissen, was sie sich wirklich dabei gedacht haben. Fest steht nur, sie haben mich behandelt. Und dann kam ich zur Erde zurück. Held und Aussätziger in einem. Stell dich zu mir, und dir wird speiübel. Und warum? Weil mein Leiden dich daran erinnert, daß auch du nicht mehr als ein Tier bist. Von dieser Erinnerung bekommst du bei mir eine volle Dosis ab. Und so bewegen wir uns in diesem endlosen Feedback wie in einem Teufelskreis. Du haßt mich, weil du unangenehme Dinge aus deiner Seele über dich erfährst, sobald du mir zu nahe kommst. Und ich hasse dich, weil du ständig darum bemüht bist, von mir Abstand zu halten. In Wahrheit bin ich nämlich Träger einer Pest geworden, und diese Pest heißt Wahrheit. Meine Botschaft heißt: Die Menschheit kann sich glücklich preisen, daß alle ihre Gefühle im Schädel eingeschlossen sind. Denn wenn wir nur die Spur einer telepathischen Begabung besäßen, sei es auch nur so etwas Verwischtes, Sprachloses, wie ich es mit mir herumtrage, könnten wir einander nicht mehr ertragen. Eine menschliche Gesellschaft wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Die Hydrier können untereinander in ihren Köpfen lesen. Ihnen scheint es nichts auszumachen, im Gegenteil. Aber wir können das nicht. Aus diesem Grund behaupte ich auch, der Mensch ist das verachtungswürdigste Tier im ganzen Universum. Er kann nicht einmal den Geruch seiner eigenen Art ertragen, wenn zwei Seelen zusammenkommen!“
    „Der Käfig scheint sich zu öffnen“, sagte Rawlins.
    „Was? Wo?“ Muller lief an ihm vorbei. Da Rawlins nicht rasch genug beiseite treten konnte, traf ihn der Anprall der Ausstrahlung wie ein Keulenschlag. Dieses Mal war es nicht mehr ganz so schmerzhaft. Ned empfing Bilder vom Herbst: verwelkte Blätter, sterbende Blumen, staubige Winde, frühe Abenddämmerung. Mehr ein Bedauern als Seelenangst über die Kürze des Lebens, die Notwendigkeit der Einsicht. Mittlerweile starrte Muller ganz in Gedanken versunken auf die alabasterfarbenen Streben des Käfigs.
    „Sie haben sich bereits einige Zentimeter zurückgezogen. Warum hast du nicht sofort Bescheid gesagt?“
    „Ich habe es versucht, aber du hast nicht zugehört.“
    „Ja, ja, mein verdammter Hang zu Monologen.“ Muller kicherte. „Ned, ich warte seit Jahren darauf, das zu sehen. Der Käfig in Aktion! Sieh nur, wie elegant sie sich bewegen und in den Boden gleiten. Merkwürdig, Ned, nie zuvor haben sie sich zweimal im gleichen Jahr geöffnet. Und jetzt zum zweiten Mal innerhalb einer Woche.“
    „Vielleicht hast du die anderen Male ganz einfach verpaßt“, meinte Rawlins. „Möglicherweise hast du gerade geschlafen, als

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