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Der Mann im Labyrinth

Der Mann im Labyrinth

Titel: Der Mann im Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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erlegten Aasfresser waren noch nicht lange genug tot, um schon zu stinken. Außerdem war von ihnen kaum mehr als das Skelett übriggeblieben.
    Rawlins begriff, daß es sich hier um eine Sinnestäuschung handeln mußte: offensichtlich eine Art Geruchsfalle, die im Käfig angebracht war. Ganz klar sonderte der Käfig den Fäulnisgeruch ab. Und warum? Na, um dieses Rudel Wiesel in den Käfig zu locken. Eine besonders ausgeklügelte Foltermethode. Er fragte sich, ob Muller wohl dahinterstecken konnte. Ob er in ein nahegelegenes Kontrollzentrum gegangen war und die Geruchsausstrahlung aktiviert hatte.
    Aber Ned blieb keine Zeit mehr, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Ein frisches Bataillon von Raubtieren rannte über den Platz auf den Käfig zu. Sie sahen schon eine Nummer größer aus, waren aber noch klein genug, um zwischen die Gitterstäbe zu passen. Ihre Fänge glänzten unangenehm im Mondlicht. Rawlins tötete rasch drei der Biester in seinem Käfig, die überlebt hatten, und warf sie, einem rettenden Einfall zur Folge, durch die Stäbe nach draußen.
    Sie flogen acht bis zehn Meter weit. Sehr gut, die Neuankömmlinge blieben stehen. Abwartend schnupperten sie, dann fielen sie wie auf Kommando über die zuckenden, noch nicht ganz toten Körper her, die da vor ihren Füßen gelandet waren. Kaum einer von ihnen machte sich die Mühe, zum Käfig vorzudringen. Und sie erschienen einzeln, so daß Rawlins die Möglichkeit erhielt, sie der Reihe nach totzutreten und nach draußen zu schleudern, um der Horde neue Nahrung zu verschaffen. Er sagte sich, daß er so alle erledigen konnte, wenn keine neuen Rudel auftauchen würden.
    Als er siebzig oder achtzig von ihnen getötet hatte, sahen die Aasfresser davon ab näherzukommen. Der Geruch von frischem Blut überlagerte den synthetischen Gestank aus dem Käfig. Seine Beine schmerzten von der Anstrengung der Abschlachterei, und sein Kopf dröhnte. Aber allmählich kehrte die Nachtruhe wieder ein. Kadaver lagen in weitem Bogen rund um den Käfig verstreut. Manche trugen noch ihr Fell, von anderen waren nur noch die Knochen übrig. Eine dicke, tiefrot gefärbte Blutlache breitete sich über einige Quadratmeter aus. Die wenigen letzten Überlebenden waren, vollgestopft bis oben hin, davongetrabt, ohne noch einen Versuch zu unternehmen, den Insassen des Käfigs zu belästigen. Müde, erschöpft und in einem Zustand, in dem er in einem Moment laut auflachen und im nächsten Moment losheulen wollte, stellte sich Rawlins an die Gitterstäbe. Er sah nicht auf seine pochenden, blutüberströmten Beine hinab. Er spürte, wie das Feuer in ihnen immer heftiger brannte, und stellte sich vor, wie sich jetzt unzählige, fremdartige Mikroorganismen in seinem Blutkreislauf ausbreiteten. Am Morgen würde noch ein aufgedunsener, purpurrot verfärbter Leichnam von ihm übrig sein, ein Märtyrer für Charles Boardmans nimmersatte Pläne. Was für ein Blödsinn, in diesen Käfig zu gehen! Was für ein einfältiger Weg, Mullers Vertrauen zu gewinnen!
    Doch plötzlich erkannte Rawlins, daß der Käfig auch seine Vorteile hatte.
    Drei größere Tiere marschierten aus unterschiedlichen Richtungen auf ihn zu. Sie bewegten sich majestätisch wie Löwen, hatten ansonsten aber mehr Ähnlichkeit mit einem Wildschwein: niedrige Körper mit einem scharfen Rücken, ein Gewicht von um die hundert Kilogramm, langgezogene, dreieckige Köpfe, sabbernde Mäuler mit dünnen Lippen und winzige, schielende Augen, die in Paaren an jeder Seite direkt vor den zotteligen Hängeohren standen. Gebogene Stoßzähne ragten aus dem Maul und unterteilten die kleineren und schärferen Eckzahnreihen, die sich aus mächtigen Kiefern erhoben.
    Mißtrauisch beäugte das Trio die Grausamkeit. Dann führten die Tiere eine kompliziert aussehende Serie von hüpfenden Bewegungen durch, was hinreichend auf das Problem von drei Konkurrenten verwies, die in runden, ineinander übergreifenden Wegen gegenseitig ihr Territorium abgrenzten. Sie verweilten etwas länger bei dem Haufen von Wieseltierkadavern, gehörten selbst aber eindeutig nicht zur Gruppe der Aasfresser. Sie suchten nach lebendem Fleisch. Daß sie die zum Teil von den Artgenossen zerrissenen kleinen Tiere verschmähten, war nicht zu übersehen. Als sie den Haufen lange genug inspiziert hatten, drehten sie sich um und schenkten Rawlins ihre volle Aufmerksamkeit. Sie standen in einem fünfundvierzig-Grad-Winkel zu ihm, so daß zumindest jeweils ein Augenpaar ihn anstarren konnte.

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