Der Mann im Park: Roman (German Edition)
der uns benachrichtigt hat. Harry Schiller heißt er. Er scheint häufiger auf der Werft zu übernachten, deshalb war er auch hier. Er wollte sich da drinnen schlafen legen, und da hat er sie gefunden.«
»Haben Sie ihn schon vernommen?«
»Ja.«
»Haben Sie seine Personalien, damit wir ihn erneut vernehmen können?«
»Ja.«
»Und warum ist er dann immer noch hier?«
»Er soll noch untersucht werden. Seine Kleidung, und ob er irgendwelche Verletzungen hat. Schließlich ist er derjenige, der sie gefunden hat. Außerdem muss er sowieso nirgends hin, hat er gesagt.«
Stierna hegte keinen Zweifel an den Angaben des Beamten. Der Mann in der schmutzigen braunen Jacke sah aus, als würde er häufiger draußen schlafen. Vielleicht ist er schon mal wegen Landstreicherei verurteilt worden, dachte Stierna. Würde mich nicht wundern.
»Er sagt, er hat ihn gesehen«, fuhr der Streifenpolizist fort und zupfte an seinem hohen Uniformkragen. »Den Mörder.«
»Den Mörder? Hat er den Mord beobachtet?«
»Nein. Aber er hat gesehen, wie der Täter auf die Werft zurückgekommen ist. Hat gesehen, wie er seine Tasche geholt hat. Die war da oben, in einer alten Badewanne, gleich neben dem Mädchen.«
Stierna ging zu dem müden Mann, der immer noch auf der Erde hockte. Vorsichtig klopfte er ihm auf die Schulter. Harry Schiller zuckte zusammen, offenbar hatte er geschlafen.
»Ich bin Kommissar Stierna. Sie haben sie gefunden?«
Schiller stand mühsam auf.
»Ja. Das war schrecklich, furchtbar. Wer kann einem Kind so etwas antun?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Stierna. »Aber ich werde versuchen, es herauszukriegen. Es heißt, Sie haben ihn gesehen?«
Schiller schwieg. Er sah aus, als hätte er Angst und wäre noch betrunken.
»Da ist einer gekommen«, sagte Schiller, »ich hab Angst gekriegt.«
»Wer ist gekommen?«
»Ein Mann. Ich habe mich hinter einem Schrank versteckt … Er hat mich nicht sehen können.«
»Erzählen Sie mir, was Sie gesehen haben.«
Schiller redete drauflos. Nicht von dem Mann, sondern von dem toten Mädchen. Von dem vielen Blut auf dem Boden. Von einer offenen Tasche da oben in der alten Badewanne, gleich neben dem Mädchen.
Das viele Blut, dachte Stierna. Er fragte sich, wie es wohl da oben aussah. Wie schlimm der Anblick sein würde. Er war abgehärtet, hatte so ziemlich alles schon gesehen, auch das Schlimmste. Aber man gewöhnte sich eigentlich nie daran.
»Konnten Sie sehen, was sich in der Tasche befand?«
»Ein bisschen. Da war ein blutiges Handtuch … das um irgendwas gewickelt war. Ich weiß nicht genau, was, aber es war lang und rund. So was wie ein Gummiknüppel. Außerdem war eine kurze Hose drin. Und ein Paar Turnschuhe.«
»Wie sahen sie aus?«
»Die Schuhe?«
»Sie können mit ihnen anfangen.«
»Ich weiß nicht … Es war so dunkel. Ich glaube, sie waren aus dunklem Leder.«
»Sind Sie sicher, dass es Turnschuhe waren?«
»So ziemlich.«
»Was für Turnschuhe waren das?«
»Ich weiß nicht. Sie sahen ganz normal aus. Wie man sie eben beim Sport trägt.«
»Haben Sie auch die Sohlen der Schuhe gesehen?«
Schiller schüttelte den Kopf.
»Sie konnten nicht sehen, ob sie glatte Sohlen hatten? Ob sie genagelt waren oder Stollen hatten?«
»Nein.«
»Und die kurze Hose?«
»Na, so eine einfache … Ich glaube, sie war ganz einfach. Hell. Eine ganz normale kurze Hose.«
Plötzlich traten Schiller Tränen in die Augen. Er senkte den Kopf, verbarg das Gesicht in den Händen.
Die Menschen reagieren so unterschiedlich auf Angst, dachte Stierna. Manche fallen in Ohnmacht, andere erbrechen sich. Viele fangen an zu weinen. Doch nun konnte Schiller zusammenhängender reden, den Mann ziemlich genau beschreiben, der die Treppe heraufgekommen war. Der zu dem Mädchen gegangen war, dann die Tasche genommen hatte und wieder gegangen war, während Schiller die ganze Zeit hinter einem Blechschrank stand und kaum zu atmen wagte.
»Wie genau konnten Sie ihn sehen?«, fragte Stierna.
»Nicht so gut«, antwortete Schiller. »Drinnen war’s ja noch dunkler als draußen. Aber ich hatte den Eindruck, dass er ziemlich dünn war. Und er trug ein Sakko, vielleicht einen Anzug, und einen Hut.«
»Welche Farbe hatte seine Kleidung?«
»Dunkel. Aber welche Farbe … das kann ich nicht sagen.«
»Haben Sie sein Gesicht gesehen?«
»Nein. Dazu war es zu dunkel.«
»Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn noch einmal sehen?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
Stierna dachte
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