Der Mann im Park: Roman (German Edition)
Die Einsamkeit war mit Händen zu greifen, obwohl die Häuser in der Nordenskiöldsgatan nicht weit entfernt waren und Beckholmen auf der anderen Seite des schmalen Sunds lag. Vielleicht lag es an den gelben Gebäuden aus Metall, die vor sich hin rosteten. An denen aus Holz war die Farbe vielfach abgeblättert. Und dann die vielen kaputten Fenster.
»Todeszeitpunkt?«
Karlström antwortete professionell.
»Ich würde sagen, das ist zwischen vier und zehn Stunden her. Die Leichenstarre ist noch nicht voll ausgebildet, aber fast. Jedenfalls nach meiner Einschätzung. Aber da ihre Temperatur noch nicht deutlich gesunken ist, würde ich annehmen, dass es eher erst fünf als zehn Stunden her ist. Auch weil sie noch ein Kind war, würde ich eher zu fünf Stunden neigen.«
»Berner sagte, es könnte ein Sexualverbrechen gewesen sein.«
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen, ich habe die Leiche nicht unnötig anfassen wollen. Und auch die Kleider nicht. Aber es gibt Anzeichen für eine Vergewaltigung, oder zumindest für den Versuch. Sie werden es verstehen, wenn Sie sie sehen.«
Stierna übernahm Karlströms Schuhhüllen.
Das Mädchen lag auf dem Rücken, die Arme ordentlich an den Seiten. Um sie herum viel Blut.
Stierna hatte schon viele Tote gesehen. Meistens sagten ihre Gesichter ihm nichts. Die Gesichtszüge waren unklar, eher wie bei Wachspuppen als bei Menschen. Hier war es anders. Die Augen waren groß, geradezu weit aufgerissen. Und dann das Gesicht. Irgendwie zeigte es Schmerz und Angst zugleich. Am linken Auge hatte sie eine Narbe, die aussah wie ein kleines c. Die Beine waren leicht gespreizt. Sie trug weiße Kniestrümpfe, ein weißes Kleid und eine hellbraune Strickjacke. An den Füßen saßen braune Sandalen. Um ihre Hände hatten die Techniker bereits braune Papiertüten befestigt. Er sah, dass der Schlüpfer um ihren linken Fuß hing. Jetzt verstand er, was Karlström damit gemeint hatte, dass es Anzeichen für eine Vergewaltigung gab.
Trotz der Dunkelheit konnte er die Verletzungen an ihrer linken Schläfe erkennen. Genau wie Karlström gesagt hatte. Das Blut war in dem blonden Haar bereits getrocknet. Auf dem Boden um sie herum waren große dunkle Flecken, über dem Kopf dicke Spritzer. Die Spuren eines Stricks konnte er an ihrem Hals nicht erkennen, aber er wollte nicht zu nahe herangehen, sie nicht unnötig anfassen.
Wie brutal, dachte Stierna.
»Wie alt kann sie gewesen sein? Acht, neun?«
Karl Högstedt stand mitten im Raum. Er hatte Stierna nicht kommen hören.
»John. Ich habe sie gemessen. Eins siebenundzwanzig, also kann deine Schätzung hinkommen.«
Stierna betrachtete das Mädchen. Nach den Blutspritzern auf dem Boden über ihrem Kopf zu schließen, hatte sie gelegen, als der Schlag sie getroffen hatte.
»Und die Eingangstür unten stand offen, als ihr gekommen seid?«, fragte Stierna.
»Ja. Die Streifenpolizisten vom Siebten haben sie nicht angefasst. Viel ist ja auch nicht mehr von der Tür übrig. Kein Schloss. Sie lässt sich kaum zuziehen.«
Stierna blieb auf Abstand zu dem Körper. Wollte vermeiden, irgendwo in Blut zu treten.
»Wie sind sie auf die Werft gekommen«, fragte er, »der Mörder und das Mädchen?«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls wohl nicht durch das Eingangstor. Es sei denn, er hatte einen Schlüssel. Als wir ankamen, war es mit einem Vorhängeschloss gesichert, und das ist es wohl schon, seit die Werft geschlossen wurde, also mussten wir es erst mal knacken. Aber es ist trotzdem einfach reinzukommen. Man kann von der Nordenskiöldsgatan aus, der Straße, die oberhalb liegt, reinklettern, aus einem der Hinterhöfe, so sind die Beamten vom Siebten reingekommen. Und es würde mich nicht wundern, wenn der Zaun irgendwo ein Loch hat. Wahrscheinlich kann man auch einfach drüberklettern. Das könnte auch ein Mädchen schaffen. Also kein Problem, hier reinzukommen.«
»Wie weit seid ihr?«
»Ich habe Skizzen und diverse Notizen gemacht. Strand hat so gut wie alles hier oben fotografiert. Das Mädchen natürlich auch. Wir haben angefangen, nach Fingerabdrücken zu suchen. Nach Fußabdrücken auch, aber das ist schwer auf dem alten Holzfußboden hier oben, und der Mörder ist anscheinend nicht ins Blut getreten. Es sieht überhaupt schlecht aus. Ich glaube nicht, dass die beiden lange hier oben gewesen sind.«
»Habt ihr etwas gefunden, was als Mordwaffe infrage kommen könnte?«
»Nein.«
Stierna schaute sich um. Zwei Sachen fielen ihm auf. Die rohe Gewalt.
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