Der Mann im Park: Roman (German Edition)
eigene Ordner sortiert.
Wir haben über tausend Aktennotizen angelegt, dachte Stierna. Vielleicht sogar zweitausend. Von allen Hinweisen, Befragungen, von jeder Spur, die in eine Sackgasse geführt hatte.
Stierna öffnete den obersten Karton. Lundbys Bericht der Ermittlungen auf der Djurgårdswerft lag obenauf. Sie hatten mehrere Monate angedauert, hatten die Ermittler aber nicht näher an die Wahrheit geführt.
Zweitausend Aktennotizen, aber kein Mörder. Wenn er nicht doch darunter zu finden war, irgendwo verborgen zwischen den Seiten.
Die Kopie von Ingrids Kettenanhänger lag in einer Ecke. Das Schweinchen, das auf zwei Beinen ging. Mit großem Kopf, kurzen Armen und Beinen. Es trug ein Halstuch. Ferkel. Mit den Initialen I. B. auf der Rückseite. Das Original hatten sie nie gefunden. Vielleicht war es immer noch im Besitz des Mörders.
Inzwischen gab es das Buch auch auf Schwedisch, seit vier Jahren jetzt. »Pu der Bär«. Offenbar war es eher zufällig übersetzt worden, jedenfalls hatte Stierna das gehört. Brita af Geijerstam hatte von einer Freundin das englische Original bekommen. Und sie hatte es eher aus Spaß übersetzt. Ihr Mann hatte sie überredet, die Übersetzung Tor Bonnier anzubieten. Und so war es dann gekommen, aus »Pu der Bär« war »Nalle Puh« geworden, das Ferkel hieß nun »Nasse«.
Er hatte die schwedische Ausgabe gleich nach Erscheinen für die Tochter seines Bruders kaufen wollen, Eriks Tochter. Sie war inzwischen neun Jahre alt, aber irgendwie war es nie dazu gekommen. Irgendwie hatte er das Gefühl, das wäre nicht richtig gewesen, auch wenn es die fantastischste Kindergeschichte war, die er je gelesen hatte.
Er erinnerte sich daran, was Karolina gesagt hatte, als er ihr das Buch zeigte, damals in der Küche in der Parmmätargatan. »Das scheint eine schöne Geschichte zu sein. So eine, wie wir sie unseren Kindern später einmal schenken sollten.«
76
Stierna ging den Karlbergsvägen entlang, bog in die Birkagatan. Wie fast immer, obwohl er schon früher rechts hätte abbiegen und die Norrbackagatan hätte nehmen können. Dann die Vikingagatan. Aber meist nahm er die Birkagatan auf seinem Weg zu »Kahns Källare«.
Das Tor zu dem Haus, in dem Karolina mit ihrer Schwester gewohnt hatte, als sie sich das erste Mal begegnet waren, war immer noch dasselbe. Unscheinbar, schwer zu finden, wenn man die Straße entlangschlenderte. Er nahm an, dass die kleine Einzimmerwohnung mit Kochnische sich auch nicht verändert hatte. Und das Fenster zur Straße war auch noch gleich.
Er hatte so eine intensive Erinnerung an diese unscheinbare Wohnung.
Das erste Mal, als es mir wirklich heiß wurde, dachte Stierna. Ich weiß es noch wie heute. Da begriff ich, dass sie und ich zusammengehörten.
Wir landeten in dieser Wohnung, nachdem wir im »Atlantis« getanzt hatten. Ihre Schwester war nicht da, sie war wohl verreist. Denn sie teilte die Wohnung mit Karolina.
Wir unterhielten uns über alles Mögliche. Das Leben, das Gute, das Böse. Und ich konnte mit ihr reden wie mit niemandem je zuvor. Es fühlte sich so richtig an. Stundenlang, die Zeit flog nur so vorbei. Das eine führte zum anderen, schließlich landeten wir im Bett.
Ich streichelte mit der linken Hand ihren Körper, tastete nach dem Büstenhalter.
Plötzlich setzte sie sich auf. Zuerst ging sie ins Badezimmer. Ich überlegte, was ich falsch gemacht hatte. Als sie zurückkam, setzte sie sich mit angezogenen Knien neben mich auf das Bett.
»Ich habe an dich gedacht, John«, sagte sie. »Du bist in meinen Gedanken, immer.«
Ich hatte nichts gesagt, wusste nicht, was ich hätte sagen sollen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie schroff.
Ich umarmte sie. Streichelte ihren Schenkel.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Ich weiß es nicht.«
Als ich die Wohnung verließ, ohne dass wirklich etwas passiert war, da wusste ich es. Ich wusste es ganz genau.
Er dachte nicht oft an den Tag, an dem sie ihn verlassen hatte. Es fiel ihm schwer, die Tage auseinanderzuhalten. Ein neues Jahr hatte begonnen, 1929.
Nur schwach erinnerte er sich an die Zeit vor der Scheidung. Die kurzen Vermittlungsgespräche mit dem Pfarrer, der sie in der Kungsholmener Kirche einmal getraut hatte. Denn das sah das Gesetz so vor, dass die Ehepartner, die sich scheiden lassen wollten, gezwungen waren, einen Vermittler aufzusuchen, um möglicherweise die Ehe noch zu retten. Meistens einen Pfarrer, aber es gab auch andere, von der Stadt Stockholm dazu
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