Der Mann im Park: Roman (German Edition)
um das Mädchen herum, die vielen Spritzer über seinem Kopf. Er hatte angeordnet, dass gleich morgen die Wäschereien nach Leuten befragt werden sollten, die blutige Kleidung abgaben. Die Tat war so brutal ausgeführt worden, dass sie eigentlich deutliche Spuren auf der Kleidung des Mörders hinterlassen haben musste.
Stierna bog in die Hantverkargatan ab. Die Dunkelheit war kompakt, obwohl die Laternenanzünder schon vor langer Zeit die Straßenbeleuchtung eingeschaltet hatten. Er kam an Lindströms Viktualienhandlung vorbei; manchmal kaufte er dort etwas. Im Schaufenster stapelten sich diverse Meiereiprodukte um ein großes schwarzes Schild mit einer Botschaft des Verbands der Molkereiwirtschaft: »Wir essen zu wenig Käse! Käse ist billiges Essen.«
Er wusste, wo man meistens die Kindermörder fand. Fast immer in der Familie. Vater oder Mutter, Stiefvater oder Stiefmutter. Stierna dachte, dass er den Bräutigam der Mutter umgehend überprüfen musste. Daneben waren andere Verwandte, Freunde der Familie, Nachbarn am wahrscheinlichsten. Und die entfernteren Bekannten. In fünfundneunzig Prozent der Fälle kannte das Kind seinen Mörder nur zu gut. Wenn nicht noch häufiger, Stierna war sich dessen ziemlich sicher.
Unbestreitbare Fakten, dennoch zögerte er.
Es war schon nach elf Uhr, als Stierna endlich vor der vertrauten Haustür in der Parmmätargatan stand. Er schaute hoch, in der Küche brannte noch Licht.
Als er in die Wohnung kam, hängte er zunächst seinen Mantel im Flur auf. Er krempelte die Hemdsärmel hoch und ging in die Küche.
Karolina saß am Küchentisch, nähte. Nur eine Tischlampe brannte in einer Ecke.
»Ist das nicht zu dunkel?«, fragte er.
Karolina schaute auf.
»John. Ich hab dich gar nicht gehört.«
»Soll ich nicht die Deckenlampe anzünden? Du verdirbst dir die Augen, wenn du bei so schlechtem Licht arbeitest …«
»Dann zünde sie an.«
Das tat er. Sie nähte an einem weißen Kleid.
»Hast du es heute Morgen noch rechtzeitig zur Arbeit geschafft?«
»Ja, gerade noch. Aber die erste Kundin kam erst gegen halb zehn. Das war also kein Problem.«
Er setzte sich ihr gegenüber.
»Und du? Wie ist es dir ergangen?«
Er dachte eine Weile nach, bevor er antwortete.
»Heute habe ich einen Menschen getroffen, dessen Leben nie wieder das gleiche sein wird.«
Sie schaute ihn lange mit großen Augen an.
Er erzählte. Nichts, was von Bedeutung für den Fall war, das wäre gegen die Vorschriften gewesen. Er berichtete ihr keine Details. Erzählte nicht von dem Blut oder dem Gesichtsausdruck des Mädchens, das wollte er ihr ersparen. Aber er wusste, dass sie viel aufnehmen konnte. Und er brauchte das Gespräch, berichtete ihr von Maria Bengtsson.
Gegen zwölf Uhr gingen sie schlafen.
Stierna zog sich sein Nachthemd an und kroch unter die Decke. Er dachte an den kommenden Tag. Er wollte dabei sein, wenn Maria Bengtsson ihre tote Tochter identifizierte. Das war allerdings nur eine Formalität, denn sie waren sich bereits sicher, dass es Ingrid Bengtsson war, die sie gefunden hatten.
Es fiel ihm schwer, sich auszumalen, wie das ablaufen würde. Die Menschen reagierten so unterschiedlich, wenn sie tote Angehörige sahen. Manche brachen zusammen, andere schienen fast unberührt oder standen zu sehr unter Schock, um überhaupt Gefühle zeigen zu können. Stierna fragte sich, wie Maria Bengtsson wohl reagieren würde.
Karolina machte das Licht aus. Sie lag dicht neben ihm und strich ihm über das Haar. Stierna drehte sich zu ihr um.
Sie lagen ganz still im Dunkeln und hielten einander bei der Hand.
Visby 1953
9
Stierna war wieder unten am Wasser. Der Strand war jetzt noch leerer als zuvor, keine Menschenseele ließ sich blicken. Langsam, aber zielstrebig ging er auf den Steinen entlang.
Das Gespräch mit dem Journalisten hatte Erinnerungen geweckt. Teile der Ermittlungen um Ingrid Bengtssons Tod, Kleinigkeiten, die eigentlich nichts mit der Lösung des Mordfalls zu tun hatten. Wie die Frage, welche Kleidung die Mutter trug, als sie sich das erste Mal sahen. Einen hellblauen Rock, eine weiße Bluse. Darüber eine beigefarbene Strickjacke. Wie der Fahrer aussah, der ihn das erste Mal zur Djurgårdswerft gefahren hatte. Diese kleinen, unbedeutenden Details, die nicht im Protokoll standen, waren ihm wieder in den Kopf gekommen. Ansonsten kannte er die Ermittlungsunterlagen fast aus wendig.
Stierna ging weiter, auf seinen Stock gestützt. Heute Abend sollte er den Journalisten wieder
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