Der Mann im Park: Roman (German Edition)
ihn mehrere Male getroffen? Kannte sie ihn?«
»Ich glaube nicht, aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wen sie alles getroffen hat. In der Schule. In den Läden. Leute in der Nachbarschaft. Ich habe ihr jedoch immer gesagt, sie soll vorsichtig sein. Man weiß ja nie … Aber ich meine mich zu erinnern, dass sie erzählt hat, wie nett er war.«
»Wie alt war er?«
»Ich weiß nicht genau … Ich denke, sie war der Meinung, dass er wohl in meinem Alter war, so um die dreißig. Aber Kinder … Sie wissen ja, wie Kinder sind, wenn sie das Alter von Erwachsenen einschätzen sollen.«
»Was hat sie noch gesagt?«
»Er hat ihr Geld gegeben, für Glanzbilder. Aber das Merkwürdige war, dass er behauptet hat, er würde ihren Vater kennen.«
Das war das erste Mal, dass Stierna von ihm hörte.
Von dem Mann im Vasapark.
1928
12
Er lief ziellos am Karlbergssjön entlang. Auf dem Kungsholms Strand gingen Leute spazieren, obwohl der Himmel bewölkt war und kühlerer Wind aufkam. Junge Paare, Hand in Hand. Langsame Alte. Laufende Kinder.
Er war allein. Gut gekleidet, in braunem Anzug, mit braunem Hut und Regenschirm. In der linken Hand trug er die Tasche mit der Sportkleidung. Er konnte schnell laufen, hatte das schon immer gekonnt.
Eine Familie kam ihm entgegen. Sie waren auf dem Weg Richtung Sankt Eriksbrücke. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Sieben und zehn Jahre alt vielleicht. Ordentliche Eltern in gepflegter Kleidung. Die Frau trug einen Korb im Arm.
Manchmal, wenn er Kinder sah, erinnerte er sich an seine eigene Kindheit. Aber die Erinnerungen waren immer unscharf, wie in einem Albtraum.
Er erinnerte sich an die Spottverse aus den ersten Klassen in der kleinen Dorfschule. »Der Spatz ist so schrecklich klein, dünn wie Streichhölzer sind seine Bein’.« Der Spatz, so hatten sie ihn genannt, die Meute in der Schule. Ein Mob, ohne klaren Anführer, im Schutz der Masse konnte man den Schwächeren verhöhnen. Und musste für nichts geradestehen, nicht selbst denken. Eine feige kleine Gesellschaft. Fast wie die Miniaturausgabe der großen. Sie hatten immer auf ihn eingeprügelt, obwohl er der beste Läufer der ganzen Schule war. Das hatte nie etwas genützt, nie eine Rolle gespielt.
Er setzte sich auf eine Bank und schaute aufs Wasser. Ein paar Boote schaukelten auf den Wellen.
Er betrachtete die Menschen um sich herum. Heimlich musterte er ihre Gesichter.
Da spazieren sie umher und lassen sich nichts anmerken. Weigern sich, die Ungerechtigkeit in allem wahrzunehmen. Den großen Bluff, »das Wunder Leben«.
Ein kleiner Junge in kurzer Hose, mit einer Schiebermütze, ging allein an ihm vorbei. Das braune Haar, die Stupsnase und die dunklen Augen erinnerten ihn an einen seiner Schulfreunde. Das war ein schweigsamer Junge gewesen, er hatte in der letzten Bank gesessen und als etwas zurückgeblieben gegolten. Der Freund hieß Ivar. Nach drei langen Jahren in der Schule war Ivar zu einem Arzt gebracht worden, weil er so oft Kopfschmerzen hatte. Da stellte sich heraus, dass Ivar kaum etwas hören konnte. Weder die Eltern noch die Lehrer oder die Mitschüler hatten etwas davon bemerkt. Ivar war ganz und gar nicht zurückgeblieben, eher im Gegenteil. Dass er trotz allem dem Unterricht hatte folgen können, von seinem Platz ganz hinten im Klassenzimmer aus, grenzte an ein Wunder.
Doch das hatte keiner offen zugegeben. Die Meute hatte wieder jemanden gefunden, auf den sie sich stürzen konnte, da brauchte man nicht länger nachzudenken.
Eines Tages hatte er selbst die Initiative ergriffen und einen von Ivars Peinigern rücksichtslos verprügelt.
Der Schwächste muss zuerst zuschlagen, dachte er. Seit ich angefangen habe, mich zu wehren, fürchten sie mich.
Doch als er anfing, die anderen das Fürchten zu lehren, hatte Ivar sich zurückgezogen, hatte vielleicht selbst Angst vor der neuen Seite seines Freundes bekommen.
Er ging weiter am Wasser entlang. Zog ein Stamboul-Päckchen heraus und zündete sich eine Zigarette an. Das machte ihn munter, das Herz schlug schneller.
Er überlegte, ob Ingrid, das Mädchen, das er getötet hatte, auch in der Schule gehänselt worden war. Doch das nahm er nicht an. Er konnte nicht genau sagen, warum, aber irgendwie brachte ihr Aussehen die Menschen einfach dazu, sie gernzuhaben. Und trotzdem hatte er sie getötet.
Er nahm den Hut ab und strich sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Bald würde er neunundzwanzig werden, doch er sah älter aus. Vielleicht lag
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