Der Mann im Park: Roman (German Edition)
das an der Kleidung, vielleicht an seinem leeren Blick.
Vor ungefähr sieben Jahren hatte er zum ersten Mal seiner Mutter sein Herz ausgeschüttet. Sie hatten zu Hause gesessen, sein Vater war gerade gestorben. Seine Mutter war eigentlich nie gemein zu ihm gewesen, im Gegensatz zu seinem Vater. Sie war nur einfach geistesabwesend gewesen, hatte keine Gefühle zeigen können, auch wenn sie ihn sicher auf ihre Art liebte. Aber er konnte sich nicht erinnern, dass sie ihn jemals in den Arm genommen hatte.
Das Leben sei für ihn sinnlos, hatte er ihr gesagt. Er habe keine richtigen Freunde. Und keine Lust, Karriere zu machen, obwohl er ziemlich gut in der Schule war. Und es gab niemanden, der ihn liebte. Nein, es gab niemanden, der ihn jemals geliebt hatte, mit Ausnahme seiner Mutter.
Seine Mutter hatte ihn sichtlich besorgt und erschrocken angesehen. Dann hatte sie versucht, ihn zu trösten, ein hilfloser Versuch von jemandem, der ihn nicht verstand oder nicht verstehen wollte.
»Wer weiß«, hatte sie gesagt, »vielleicht sieht ja in fünf oder zehn Jahren alles ganz anders aus. Vielleicht führst du dann ein ganz normales Leben mit Familie, Kindern und Karriere. Und aufgeben, das ist das Dümmste, was du tun kannst.«
Er erinnerte sich immer noch an ihre Worte, obwohl er sie nie beherzigt hatte. Und seitdem hatte er nie wieder jemandem sein Herz ausgeschüttet.
Es hatte angefangen zu regnen.
Sie war an einem Tag im Dezember gestorben. Er erinnerte sich an die Beerdigung, wie er in der Kirche gesessen hatte, in der Zeit der Abschlussprüfungen in der Realschule. Er hatte diese eiskalte Kirche verachtet, trotzdem hatte er ein letztes Mal Abschied von seiner Mutter genommen. Auch wenn sie in den letzten Jahren nicht mehr viel Kontakt gehabt hatten, traf ihn die Erkenntnis, dass sie jetzt tot war, wie ein Schlag vor den Kopf. Irgendwie war das alles zu viel für ihn geworden. Und im Nachhinein vermutete er, dass es ihr Tod war, der ihn letztendlich dazu gebracht hatte, einen anderen Menschen zu töten. Nicht allein, aber er hatte dazu beigetragen.
Viele Stunden später trat er nass vom Regen in das Lokal. Zog seinen durchnässten Mantel aus und gab Mantel und Regenschirm dem Garderobier.
»Scheußliches Wetter, nicht wahr?«
»Allerdings«, antwortete er.
Der Raum war groß, mit hoher Decke. Die Tische klein, und die meisten leer.
Er ging zum Tresen. Hier saßen die wenigen Gäste, die noch da waren. Drei junge Männer in dunklen Anzügen unterhielten sich, jeder hatte ein Glas in der Hand. Ein Alter mit langem Backenbart bezahlte und ging.
Hinter dem Tresen stand ein großer, dicker Mann in den Fünfzigern. Sein Haar war zurückgekämmt, der Bart gewachst.
Der neue Gast ließ sich in deutlichem Abstand zu den anderen nieder. Nach wenigen Minuten kam der Barkeeper zu ihm.
»Was darf’s sein, der Herr?«
»Ein Pils.«
»Ein Pils. Ein besonderer Wunsch?«
»Nein.«
Der Barkeeper zapfte ein Pils. Der fremde Gast zog seine Geldbörse heraus und bezahlte. Dann ging der Barkeeper zu den drei jungen Männern und unterhielt sich mit ihnen. Er war bekannt für seine Geschichten, und bald lachte die ganze Gesellschaft.
Der Mann, der Ingrid Bengtsson erschlagen hatte, interessierte sich nicht für diese Geschichten. Er fand sie nur selten lustig. Die ersten Male, als er das Restaurant »Runan« besucht hatte, hatte er versucht, sich gesellig zu zeigen, und sich zu den Leuten gesetzt, die sich um den Barkeeper scharten. Aber er hatte nie jemanden kennengelernt, war immer am Rand geblieben. Ein paarmal hatte er mit dem Barkeeper gesprochen oder versucht, einen Platz in der Gruppe zu finden, und er war in ihr aufgegangen, hatte sich richtig verhalten, die richtigen Sachen gesagt, sich scheinbar für die anderen interessiert. Doch im Nachhinein fragte er sich, ob sie ihn überhaupt bemerkt hatten. Manchmal schien es ihm, als wäre er unsichtbar.
Jetzt saß er allein für sich. Das gefiel ihm am besten. Das Restaurant in der Dalagatan war nett. Der Geräuschpegel war zu ertragen, weder zu laut noch zu leise, und wenn man seine Ruhe haben wollte, dann hatte man sie hier.
Er trank von seinem Bier. Hunger hatte er keinen.
Er holte die Zeitung heraus und blätterte sie durch, noch einmal. Er hatte immer die gleichen Artikel gelesen, sich die gleichen Bilder angeschaut und den Text schon dreimal gelesen.
Der Hauptartikel war lang, sagte aber nicht viel aus. Ein Mädchen war auf der Djurgårdswerft ermordet worden.
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