Der Mann im Park: Roman (German Edition)
Gustaf-Vasa-Volksschule war schwach. Aus irgendeinem Grund waren die Vorhänge zugezogen.
Rehn warf einen Blick auf Ingrid Bengtssons Schulbank. Sie war ordentlich aufgeräumt. Die Schulbücher lagen links auf einem Stapel, eingeschlagen in rotes Papier. In der Mitte stand das Tintenfass. Rechts lagen die Schreibhefte. Er dachte an das, was Stierna am Morgen zu ihm gesagt hatte: Sieh nach, ob das Mädchen Tagebuch geführt hat, such nach Zetteln von anderen Kindern, vielleicht steht etwas Interessantes darauf: Namen, Ereignisse, Orte, Personen. Oder sonst was. Aber Rehn hatte nichts gefunden, was von Bedeutung war.
Die Lehrerin saß neben ihm auf einem hellen Holzstuhl. Sie hieß Margareta Sundgren, war klein, grauhaarig und sollte in einem knappen Jahr in Pension gehen.
Sie hatte nicht viel zu erzählen gehabt. Ingrid Bengtsson war ein freundliches Kind gewesen, mit rascher Auffassungsgabe. Sie hatte immer ihre Hausaufgaben gemacht und ihre Sachen in Ordnung gehalten. War beliebt gewesen bei den Klassenkameraden, sozial. Beim Schuljahresabschluss hatte sie ein Gedicht von Karlfeldt laut vorlesen dürfen, was ungewöhnlich war für ein Mädchen, das noch nicht einmal neun Jahre alt war.
Im Frühling hatte Margareta Sundgren Ingrid Bengtsson zu Hause besucht.
»Ich hatte den Eindruck, dass es ein gutes Zuhause war«, hatte die Lehrerin gesagt. »Auch wenn es keinen Vater gab.«
Es war die letzte Pause an diesem Tag, das Klassenzimmer war leer. Drei Polizeibeamtinnen vom Polizeirevier Kungsholmen waren draußen auf dem Schulhof und sprachen mit Ingrids Klassenkameraden.
Rehn blätterte die Schreibhefte durch. Zwei waren mit »Aufsatzheft« beschriftet, drei mit »Malheft«.
»Schrieb und malte sie gern?«
»Ja«, bestätigte Margareta Sundgren. »Sehr gern.«
»Darf ich mir das mal ansehen?«
»Aber bitte.«
Rehn blätterte die Hefte mit den Aufsätzen durch. Fantasievolle Titel, dachte er. »Das Mädchen mit dem Mantel, der sie unsichtbar machte« hieß einer. Ein anderer: »Der Zauberer im dunklen Wald«.
Die Malhefte hatten einen blauen Umschlag und waren ziemlich dünn. Er war überrascht über die Zeichnungen, sie sahen gar nicht aus, als hätte ein Kind sie angefertigt, so gut waren sie gelungen. Vieles hat mit Wasser zu tun, dachte Rehn. Viele Fische, viele Boote auf dem offenen Meer. Kaum Menschen. Meistens Blumen und Bäume, fantasievolle Landschaften.
Er nahm sich Zeit, die Malhefte durchzusehen. Irgendwie faszinierten die Zeichnungen ihn.
Ganz hinten im dritten Heft, dem einzigen, das noch nicht vollgezeichnet war, entdeckte er das Bild eines Mannes, der auf einer Bank saß. Der Mann trug einen Hut und ein Sakko.
»Die ist anders, diese Zeichnung von dem Mann«, sagte Rehn. »Wenn man sie mit den anderen vergleicht.«
Margareta Sundgren beugte sich über die geöffnete Schulbank, um besser sehen zu können.
»Ja«, pflichtete sie ihm bei, »die ist anders.«
»Hat Ingrid mal gesagt, wer dieser Mann mit dem Hut ist?«
»Nein. Aber das muss ja nicht ein realer Mann sein, das kann auch ein ausgedachter sein. Ich kann mich aber nicht erinnern, die Zeichnung schon einmal gesehen zu haben. Normalerweise zeigt sie mir immer alle ihre Zeichnungen. Die muss ganz neu sein, sie ist ja auch ganz hinten im Heft.«
Rehn stand auf und ging im Klassenzimmer auf und ab. An den Wänden hingen Zeichnungen der Kinder. Es war kein spezielles Thema zu erkennen. Ein Bild stellte eine Blume dar. Ein anderes einen Hai im Wasser. Auf einem spielte ein Junge Fußball. Er fragte sich, ob Ingrid einige davon gemalt hatte.
Es klopfte an der Klassentür. Eine der Polizeibeamtinnen kam mit einem kleinen rothaarigen Mädchen mit Sommersprossen herein.
»Hauptwachtmeister Rehn.«
Rehn schaute die Beamtin fragend an.
»Ja, Fräulein Söderström, was gibt es?«
Die Polizistin schob vorsichtig das Mädchen vor sich her.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Karin. Hauptwachtmeister Rehn tut dir nichts.«
Das Mädchen machte schüchtern einen Knicks.
»Das ist Karin Molin«, sagte die Beamtin. »Karin sagt, dass Ingrid einen Mann im Vasapark getroffen hat. Mehrere Male.«
26
Stierna sah auf seine Taschenuhr. Genau drei Uhr. Wie immer, wenn Berner zu einer Pressekonferenz rief.
Sie waren alle schon im Versammlungsraum, Berner, er selbst und ein großer Teil der Presseleute. TT . Die großen Stockholmer Zeitungen. Mehrere Redaktionen aus anderen Landesteilen hatten auch ihre Reporter geschickt. Göteborgs Handels-
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