Der Mann im Schatten - Thriller
Richtung dirigierte, in der sich einige kichernde junge Frauen um einen Stehtisch scharten. Ich verkniff mir einen Einwand, schließlich konnte ich Pete schlecht das Flirten verbieten. Er war jung, attraktiv und Single. Warum sollte er keine Frauen anbaggern?
Es war in all den letzten Monaten unausgesprochen geblieben, dass mir - ganz im Gegensatz zu Pete - der Sinn überhaupt nicht nach sexuellen Abenteuern stand, obwohl es meine Idee gewesen war, sich die Nächte in Bars um die Ohren zu schlagen. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt, Zeit in dem leeren Haus zu verbringen, in dem Talia, Emily und ich gemeinsam gelebt hatten. Und es zu verkaufen, brachte ich nicht übers Herz.
Also gab ich Pete Flankendeckung, als er seinen Vorstoß unternahm. Kaum war ich nah genug herangekommen, um meinen kleinen Bruder verstehen zu können, brachen bereits zwei der Mädchen in Lachen aus. Der Junge hatte einfach Talent für so was. Das hatte er von unserem Dad geerbt. Andererseits schienen diese Frauen schon vor mehreren Stunden unter Alkoholeinfluss jegliche Hemmungen abgelegt zu haben. Sie waren zu viert. Alle jung, gut proportioniert, in knappen Outfits und mit hübsch frisierten Haaren. Zwei Weiße, eine Asiatin und eine Afroamerikanerin. Sie wirkten, als wären sie einer NBC-Sitcom entsprungen.
»Wer von euch ist Phoebe«, fragte ich in Anspielung auf den Star der TV-Serie Friends. Aber keine von ihnen verstand mich in dem Lärm.
»Das ist Jason«, stellte Pete mich vor. »Mein Bruder.«
Die Mädchen fanden das offensichtlich süß, zumindest die Asiatin äußerte sich in der Richtung. Prinzipiell schien die Damenrunde an Petes Geplauder interessiert, trotzdem scannten ihre Blicke weiter den Raum, auf der Suche nach reizvollen Männern. Oder vielleicht auch Frauen. Denn eins steht fest: Wäre ich eine Frau, wäre ich ganz sicher lesbisch.
»Bin gleich wieder zurück«, meinte Pete. »Muss mal kurz pinkeln.«
Ich musterte Pete. Normalerweise liegt es mir fern, das Pinkelbedürfnis meines Bruders in Frage zu stellen, aber ich wusste von seiner Drogenvergangenheit. Doch bevor ich etwas sagen konnte, wurde schlagartig alles noch schlimmer: Sie spielten diesen Song von Fergie - und ich meine nicht die Herzogin von York, sondern die Rapperin. Ich hatte das Gefühl, schlimmer könnte es gar nicht mehr werden.
»Und was machst du so?«
Das Gute an einem Rausch ist, dass man die Realität für kurze Zeit ausblenden kann. Der Nachteil ist, dass mich dann regelmäßig Talia aufsucht, und in diesen Momenten trifft es mich am härtesten, weil die Verteidigungsmechanismen außer Kraft gesetzt sind und die Gefühle bloßliegen. In meinem Kopf hörte ich diesen kleinen Laut, den Emily mit drei Monaten immer ausgestoßen hatte, etwas zwischen einem Stöhnen und einem Quicken, das in einem entzückten Aufjuchzen gipfelte.
»Was machst du?«
Ich wandte mich dem weißen Mädchen zu, das sich über den Tisch zu mir herüberbeugte. Ihrem Outfit und ihrer Haltung nach zu urteilen, schien sie es darauf anzulegen, dass man ihr in den Ausschnitt gaffte, also vermied ich genau das demonstrativ.
»Ich bin Wahrsager«, erwiderte ich.
»Stimmt nicht.«
»Aber ich wusste, dass du das sagen würdest.«
Mein Blick begegnete dem einer Frau drüben an der Bar. Sie trug ein elegantes grünes Kleid und wandte sich beiläufig ab, als hätte sie mich nie angesehen. Vermutlich hätte ich mich geschmeichelt fühlen sollen, aber aus irgendeinem Grund wurde mir flau. Was aber womöglich auch auf die fünf Wodka zurückzuführen war, die ich inzwischen intus hatte. Und zum zwanzigsten Mal in dieser Nacht fragte ich mich, was ich eigentlich hier zu suchen hatte.
Außerdem fragte ich mich, wer mich als Sammys Verteidiger engagiert hatte.
»Ich tippe auf Arzt oder Anwalt oder so was.«
Ich beobachtete, wie der Blick der Frau in Grün erneut die Bar entlangschweifte, während sie auf ihren Drink wartete.
Ihr Gesicht war schmal und fein geschnitten, und sie hielt den Kopf leicht in den Nacken gelegt, was eine gewisse Verletzlichkeit verriet, die ihrem selbstbewussten Auftreten widersprach.
»Ich bin Polizist«, erklärte ich dem Mädchen, das versuchte, sich mit mir zu unterhalten. Wobei ich ausdrücklich sage, versuchte, denn allem Anschein nach hatte sie noch mehr intus als ich.
»Ein Polizist.« Aus ihrem Mund klang es wie ein Schimpfwort. Viele Menschen denken so über unsere Freunde und Helfer. Und manchmal geht es mir nicht
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