Der Mann im Schatten - Thriller
mein betrunkener Vater, der nach mir ausholte und nur Luft traf. Ich erinnere mich noch genau an mein Junior-Jahr in der Highschool, als ich nach einem
Screen Pass über sechzig Yards einen Touchdown erzielte und zwei oder drei Verteidiger einfach umging. Ich stand in der Endzone und spähte hoch zu meiner Familie auf der Tribüne. Wie üblich saßen dort meine Mutter und Pete, aber dieses eine Mal war auch mein Vater mitgekommen, wobei ich nicht mehr weiß, ob er klatschte. Allerdings weiß ich noch genau, wie ich an diesem kühlen Freitagabend hinauf ins Flutlicht starrte, während mehrere hundert Fans frenetisch applaudierten, und mich fragte, was mein Vater wohl in diesem Moment dachte. Meine Vermutung war, dass er mich hasste.
Jedenfalls war ich kein bequemes Opfer mehr, und Pete bekam nun die geballte Wut meines Vaters ganz allein zu spüren. Er war nicht nur jünger, sondern auch zarter gebaut und sanfter. Er war kein Kämpfer und wich unserem Dad auch nicht aus. Jedes Mal ließ er es widerstandslos über sich ergehen. Und ich hörte zu, wach in meinem Bett, den Kopf eine Handbreit über dem Kissen, lauschte mit wachsender Übelkeit auf die klatschenden Geräusche der flachen Hand, den dumpfen Aufprall der Fäuste und Petes unterdrücktes Stöhnen. Ich unternahm nichts, um es zu stoppen. Ich weiß bis heute nicht, warum. So sehr ich diesen Mann auch hasste und verachtete und so wenig Angst er mir noch einflößte, für mich war er immer noch mein Vater.
Pete und ich redeten kaum über diese Dinge. Zwar hatte ich das Thema ein- oder zweimal aufgebracht, aber er hatte immer abgeblockt. Als Kind war es vermutlich eine Art Überlebensinstinkt, das Schreckliche einfach zu verdrängen. Aber als Erwachsener habe ich mich oft gefragt, was es in ihm angerichtet hatte. Ich wusste, dass er es nie lange an einer Arbeitsstelle aushielt. Drei Jobs in vier Jahren, momentan als Vertreter für pharmazeutische Produkte. Und auch mit Beziehungen tat er
sich schwer - drei Frauen in vier Monaten. Außerdem wettete er und verbrachte viel zu viel Zeit auf Partys. Man musste kein Sigmund Freud sein, um da eine Verbindung herzustellen.
Es schmerzte mich, ihn hier in Aktion zu erleben, denn er erinnerte mich dabei an unseren Vater. Etwas in mir wollte ihn wachrütteln, weil er den ganzen Charme unseres Dads besaß, aber nichts von dessen unterschwelliger Bösartigkeit. Er verstand es, andere mit seiner strahlenden Fassade für sich zu gewinnen, keine Frage, besonders in einer Situation wie dieser, und er konnte eine Gruppe von Frauen bestens unterhalten. Aber im Grunde hatte er etwas Besseres verdient. Er hatte ein großes Herz. Dieser Bursche hatte mich aufgefangen, nachdem das mit Talia und Emily passiert war. Vielleicht hatte es ihm in den letzten Monaten sogar ganz gutgetan, sich um mich zu kümmern. Besser als umgekehrt.
Und jetzt war er wieder rückfällig geworden, schnupfte heimlich Koks auf der Toilette eines Nachtclubs. Soweit ich wusste, war er nie richtig süchtig gewesen. Aber wie viel fehlte noch bis zur Abhängigkeit? In den letzten Monaten war ich einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, um darauf zu achten.
Ein plötzlicher Anfall von Übelkeit, der sich wohl der Mischung aus Wodka, Zigarettenrauch und schweren Parfümwolken verdankte, machte mir zu schaffen. Ich entschuldigte mich und wankte zur Toilette. Nachdem ich in der wogenden Menge mehrfach die falsche Richtung eingeschlagen hatte, beschloss ich, einfach draußen etwas frische Luft zu schnappen. Ich sah keinen Sinn darin, noch länger mit diesen Frauen zu plaudern, vorausgesetzt, sie hatten sich überhaupt von uns unterhalten gefühlt. Ich jedenfalls hatte mich kein bisschen amüsiert.
Andererseits hatte ich es auch nicht allzu eilig, wieder nach Hause zu kommen. Und da ich nur zwanzig Minuten entfernt wohnte, entschloss ich mich zu einem kleinen Fußmarsch. Ich liebe es, kurz vor der Morgendämmerung in der Stadt unterwegs zu sein. Die Welt ist im Übergang, drosselt langsam ihr Tempo nach den rauschhaften, nächtlichen Stunden, der erste orangerote Schimmer wärmt den Himmel, während die Stadt ihre Batterien wieder auflädt. Und die Straßen sind menschenleer, so dass man niemandem begegnet, der einen vollquatschen will.
Mit den Gedanken immer noch bei Pete, bei Talia und Emily passierte ich das Schaufenster eines 24-Stunden-Diners. Der Laden war bevölkert mit betrunkenen Nachtschwärmern, College-Kids und Jurastudenten, die eine Pause
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