Der Mann im Schatten - Thriller
bei ihren nächtlichen Pauksitzungen einlegten. Gute Zeiten. Werdet niemals erwachsen, warnte ich sie wortlos.
Als ich vor dem Fenster des Diners stehen blieb, horchte ich unwillkürlich auf. Es war weniger ein Geräusch, das mich stutzen ließ, eher seine plötzliche Abwesenheit. Eine kaum merkliche Veränderung in der Kakofonie des weißen Rauschens hinter mir. Nichts wirklich Greifbares, eher der vage Eindruck, kurz nach mir sei noch jemand stehen geblieben.
In der spiegelnden Schaufensterscheibe suchte ich die Straße hinter mir ab, konnte aber nur eine einzelne schemenhafte Gestalt ausmachen. Natürlich war ich neugierig, wer mir da folgte, gleichzeitig wollte ich sicherstellen, dass mir niemand zu nahe kam. Ich war nicht in der Stimmung für eine Schlägerei, ebenso wenig hatte ich Lust, meine sämtlichen Kreditkarten sperren zu lassen, einen neuen Führerschein zu beantragen oder mir an irgendeinem Kinn die Hand zu brechen.
Also setzte ich meinen Heimweg fort, lauschte aufmerksam und versuchte, leiser aufzutreten, um etwaige Schritte hinter mir zu hören, auch ohne mich umzudrehen. Inzwischen war ich mir ziemlich sicher, dass ich verfolgt wurde. Aber wer auch immer es war, er machte keine Anstalten, mich anzugreifen. Vielleicht war er auf ein leicht zu überwältigendes Opfer aus, aber in diese Rubrik fiel ich wohl kaum. Womöglich wollte er mich auch gar nicht ausrauben, sondern folgte mir aus anderen Gründen.
Hätte es noch irgendetwas auf dieser Welt gegeben, das mir Angst einflößen konnte, hätte ich vermutlich eine schlaflose Nacht verbracht. So jedoch verriegelte ich meine Haustür, schaltete die Alarmanlage ein und dachte noch etwa dreißig Sekunden über diese mysteriöse Geschichte nach, bevor mich Müdigkeit und Alkohol in meinem kalten, einsamen Bett übermannten.
7
Ich erwachte gegen acht Uhr früh und starrte eine halbe Stunde lang an die Schlafzimmerdecke. Was bereits einen erheblichen Fortschritt darstellte - es hatte Zeiten gegeben, da ich zwei Stunden lang das Loch in der Decke studieren musste, das ein Champagnerkorken an unserem dritten Hochzeitstag dort hinterlassen hatte, bevor ich aufstehen konnte.
Ich hatte einiges an Arbeit zu erledigen. Ich erwartete einen Mandanten in meiner Kanzlei und musste Sammys Fall anpacken.
Das war bereits der zweite Tag in Folge, an dem ich mich morgens duschte.
Gegen zehn Uhr traf ich in meiner Kanzlei ein. Ich teile mir eine kleine Büroetage mit meiner alten Freundin Shauna Tasker. Wir nutzen gemeinsam die Dienste einer Sekretärin, die gleichzeitig auch unsere Empfangsdame ist. Auf dem Papier betreiben wir zwei unabhängige Kanzleien, aber wir helfen uns gegenseitig aus, wann immer es nötig ist.
Als ich den Flur hinunterlief, entdeckte ich Shauna in unserem Konferenzraum. Unsere Freundschaft reichte zurück bis in Highschoolzeiten. Wie ich hatte sie zunächst ein paar Jahre lang als Staatsanwältin gearbeitet, war aber schon früher in eine noble Rechtsanwaltsfirma gewechselt, bis sie es satthatte, dass ihr der Seniorpartner ständig das Knie tätschelte.
Ich hatte selbst ein paarmal meine Hand auf ihrem Knie, damals während der Highschool. Aber das war lange her. Danach wurden wir gute Freunde, und auf der Uni - die sie cum laude absolvierte, während ich mich mit einem Sportstipendium durchschlug - war sie eine meiner engsten Vertrauten. Sie ist zierlich, mit ausgeprägten Rundungen, und wirkt nach außen hin sehr feminin, aber sie kann mich jederzeit unter den Tisch saufen. Und wenn man sie wütend macht, flucht sie wie ein Taxifahrer.
Nachdem das mit Talia und Emily passiert war und ich bei der Anwaltsfirma gekündigt hatte, um mich fast drei Monate in meinem Haus zu verkriechen, war es Shauna, die mich schließlich dazu bewegte, einen Raum von ihr zu mieten und mein eigenes Firmenschild aufzuhängen. Ich dachte zunächst an eines mit der Aufschrift ZUTRITT AUF EIGENE GEFAHR, entschied mich aber dann doch für ANWALTSKANZLEI JASON KOLARICH.
»Hey.« Shauna hatte die Füße auf den ovalen Walnusstisch gelegt und studierte ein umfangreiches Vertragswerk. Obwohl sie nach wie vor Strafanwältin war, hatte sie einen Klienten aus ihrer alten Firma mitgenommen, für den sie öfter vertragsrechtliche Fragen klärte. Wenn man sich als Solo-Anwalt durchschlägt, muss man ein Hansdampf in allen Gassen sein, und Shauna besaß eine verdammt schnelle Auffassungsgabe. »Hast du heute Nacht schlafen können?«
In letzter Zeit hatte ich keine
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