Der Mann im Schatten - Thriller
noch, dass die Jury ihm abnahm, er könne sich genau an einen Mann erinnern, den er höchstens ein paar Sekunden lang gesehen haben konnte,
während er in der Dunkelheit an ihm vorbei aus einem Apartmenthaus stürmte.
Ich rief Tommy Butcher an, geriet aber nur an seine Mailbox. Ihm musste völlig klar gewesen sein, dass seine kriminelle Vorgeschichte hier zum Tragen kommen würde, trotzdem hatte er sie mit keinem Wort erwähnt. Vielleicht dachte ein juristischer Laie einfach nicht an solche Dinge. Außerdem kam mir Butcher wie jemand vor, der nicht allzu viel Reue angesichts früherer Verfehlungen empfand, und womöglich war für ihn die ganze Sache längst vergessen.
Mein Handy klingelte. Der Akku war fast leer, also steckte ich das Netzkabel ein.
»Jason, hier ist Denny DePrizio. Ich habe gute Nachrichten für Sie.«
Ich schwieg.
»Sie sagten, Sie wären bereit, auf jedes Recht zu verzichten, in dieser Angelegenheit zu klagen?«
»Ja«, erwiderte ich.
»Dann können wir die Geschichte morgen in trockene Tücher bringen, wie Sie wollen.«
»Gut.« Ich hörte zu, während er mir die Einzelheiten durchgab.
»Alles okay, Kolarich? Sie klingen so komisch. Irgendwie anders.«
»Mir geht’s gut.«
In Wahrheit ging es mir alles andere als gut. Aber immerhin würde Petes Fall ad acta gelegt. Ein guter Neuanfang für ihn, vorausgesetzt, er überlebte die ganze Sache.
»Das Volk gegen Peter Kolarich, Fall Nummer 08 CR 67782.«
»Guten Morgen, Euer Ehren, Jason Kolarich für die Verteidigung.«
Richter Bonarides hob seine müden Augen. »Der Angeklagte ist nicht anwesend?«
»Nein, Euer Ehren.«
»Nun, ich nehme an, unter diesen Umständen können wir darauf verzichten«, erklärte der Richter. »Frau Staatsanwältin?« Der Richter wandte sich an die Anklägerin, eine junge Frau namens Elizabeth Morrow.
»Der Staat beantragt die Einstellung des Verfahrens«, verkündete sie.
Erneut warf Richter Bonarides einen Blick in meine Richtung. Vermutlich fragte er sich, warum dieser schwerwiegende Fall von Drogen- und Waffenhandel so mir nichts, dir nichts eingestellt wurde, ohne dass es zu einem Deal kam. Als ehemaliger Staatsanwalt hatte er offensichtlich wenig Verständnis dafür, dass die Anklage bereit schien, alles zu vergeben und zu vergessen. Doch diese erstaunliche Bereitschaft basierte auf einer anderen Art von Deal, den ich wenige Minuten zuvor unterzeichnet hatte - meine Einverständniserklärung, den Staat nicht wegen irrtümlicher Festnahme und ungerechtfertiger Anklage zu belangen. Aber das fiel nicht in den Zuständigkeitsbereich eines Strafrichters, und niemand würde je davon erfahren.
Womöglich hatte mich der Richter ja auch einfach nur wiedererkannt. Er stammte aus demselben Viertel in der West Side wie Senator Almundo. Während Hectors Verfahren hatte
sich in den Latino-Gemeinden der West Side ziemlicher Unmut breitgemacht. Man hatte die selektive und auf rassischen Vorurteilen basierende Strafverfolgung beanstandet. Dieser Unmut schien zusätzlich gerechtfertigt, als die Bundesbehörden den Prozess verloren. Als einer der Verteidiger Hectors hatte ich daher ein paar Fans in der Gemeinde.
»Die Verteidigung ist bereit, darüber zu verhandeln«, erklärte ich, womit die Uhr für die Rücknahme der Anklage zu ticken begann. Aber all das war lediglich eine Formalität. Die Drogen- und Waffenklage war offiziell gestorben. Und auch wenn Richter Bonarides neugierig geworden war, in erster Linie verschwand damit für ihn ein weiterer Fall von seiner übervollen Prozessliste, und er würde ihm keine Träne nachweinen.
Nur wenige Augenblicke später verhandelte der Richter bereits den nächsten Fall. Ich schüttelte der Staatsanwältin die Hand. »Danke«, sagte ich.
»Mir brauchen Sie nicht zu danken. Der Cop und der Informant haben es vermasselt.«
Keine sehr verbindliche Art, meinen Dank entgegenzunehmen, aber mir konnte es egal sein. Hauptsache, ich konnte dieses Kapitel abhaken. Pete brauchte sich ab nun keine Gedanken mehr über eine Verurteilung zu machen. Jetzt musste er nur noch die Kleinigkeit bewerkstelligen, die ganze Affäre zu überleben.
Während ich den Gerichtssaal verließ, fing ich den Blick von Jim Stewart auf. Er hockte in der Ecke des Saals, trug einen Pullover und eine Baseballkappe auf seinem kahlgeschorenen Schädel. Er erwiderte mein Nicken. Ich glaubte sogar, die Andeutung eines Lächelns auf seinem nüchternen Gesicht zu entdecken.
Ich traf mich mit Tommy Butcher auf
Weitere Kostenlose Bücher