Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
Von einer »bewegenden« Geschichte ist da die Rede, von einem Stoff, der »abscheulich« sei wie der Müll der Straße und einer Umsetzung, die ihn erstrahlen lasse, von einer Musik, die die Nervosität der Bronx einfängt, die der Geschichte Leidenschaft und Tiefe und Augenblicke von Glanz und Größe verleihe. Von Tönen, die die Härte und Wut der Straße fühlbar machen, genauso aber auch die aufgewühlte Zärtlichkeit wahrer Liebe. Ein Stück, das Schönheit mit dem Schmutz der Hinterhöfe vereint und das einen Standpunkt vertritt, unverzichtbar in unserer Zeit.
    Wieder und wieder lese ich mir die Zeilen durch. Es muß etwas Gewaltiges entstanden sein. Und ich bin in der gleichen Stadt gewesen! Irgendwo, ganz in der Nähe erklangen diese Töne und werden heute abend wieder erklingen. Was für ein Gefühl, auch wenn ich nicht dabeisein kann …
    Wahrscheinlich ist es überhaupt das erste Mal, daß Aggression getanzt wird, daß Probleme, die der Menschheit in der Gegenwart auf den Nägeln brennen, in einer Art Oper, Musical oder Ballett eine Sprache und eine Bühne finden. Und sind es nicht Wut und Zorn viel eher als Harmonie und »hehre Schönheit«, die die unvergänglichen
Meisterwerke der Menschheit geschaffen haben? Nun wird es endlich hörbar, sichtbar, ganz unmittelbar. Eine Revolution in der Tradition des Musiktheaters. Lebendigkeit pur.
    Beinahe kann ich die Klänge in den Worten dieses Zeitungsberichts hören, stelle mir eine Mischung aus Gershwins »Porgy and Bess« und Dvoraks »Symphonie aus der Neuen Welt« vor - und natürlich die ganz eigene, vom Jazz beeinflußte Sprache Bernsteins. Es muß atemberaubend sein! Und die entscheidenden Fragen unserer Zeit und dieser Gesellschaft stellen.
    Was heißt es, »Amerikaner« zu sein? Was heißt es, Grenzen zu überschreiten? Was heißt es, zu lieben? Es sind Werte, die nicht vom Staat vermittelt werden, sondern von der Musik, der Literatur, der Kunst! Am Ende wird sie es sein, die Katastrophen wie Little Rock im Keim erstickt, hoffe ich mit aller Eindringlichkeit, mit der ich an diese Chance glauben möchte.
    »Der Klang Amerikas«, denke ich, unergründlich in seinem spannungsgeladenen, vielstimmigen Zusammenspiel aus Millionen von Schicksalen, Lebensrhythmen, dem täglichen Bemühen Unzähliger, dem eigenen Lebenstraum auf die Spur zu kommen, ihn sich in all dem Lärm, den Anforderungen dieses fordernden Landes zu erhalten und niemals aus den Augen zu verlieren. Er wird immer dissonant sein und harmonisch, unergründlich und betörend, chaotisch und letztendlich doch seiner eigenen Ordnung folgend, denke ich und lausche dem unverwechselbaren Klang dieser Stadt, dem Rauschen des Verkehrs, den nervösen Polizeisirenen, die wieder und wieder den Ton New Yorks beherrschen, mal ganz nah, dann wieder weiter entfernt, aber immer präsent, dem Stimmengewirr, dem Geschrei und dem Flüstern des Windes, der stets durch die Straßen zieht, die Luft klärt und eine leichte Erinnerung an die Nähe des Meeres mit sich trägt.
    »Prego, Signore!« die Stimme des Kellners, die meine Gedanken unterbricht. Der feine Geruch von dampfenden Spaghetti. »Buon appetito!« In diesem Moment bin ich mir wieder mal vollkommen sicher, noch nie in meinem Leben so wunderbare Spaghetti gegessen zu haben wie hier, in diesem kleinen italienischen Straßenlokal mitten in New York.
    Gestärkt wage ich mich endlich an den Umschlag, den Herwig mir gegeben hat. Meine finanziellen Notreserven. Wieder und
wieder zähle ich nach: Ich finde tatsächlich noch 18 Dollar und ein paar Cent! Ein Vermögen für mich! Und das, obwohl ich mir das zur Zeit so populäre »Take Five«-Album von Dave Brubeck und die heißersehnten »Songs For Swingin’ Lovers« geleistet habe und zweimal im Kino war, unter anderem in »High Society«, dem neuesten Kassenschlager. Aber da ich manchmal in Clubs Klavier gespielt und ein paar Dollar zugesteckt bekommen habe, bin ich offenbar nicht ganz so arm, wie ich eigentlich gedacht hatte. Ich bin sogar beinahe reich. Was für ein unverhofftes Glück. Mit Musik läßt sich eben richtig Geld verdienen!
    Das eröffnet mir ungeahnte Möglichkeiten. Ich kann mir tatsächlich eine neue Jeans kaufen, Traum unserer Amerikareise, und »A Star Is Born«, die neueste Platte von Judy Garland, und vielleicht sogar noch einmal ins Kino oder in eine der Shows gehen, einen Stehplatz irgendwo, Hauptsache dabeisein. »West Side Story«, das wäre natürlich der Traum, aber da sind jetzt

Weitere Kostenlose Bücher