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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Kindern, hält mich fest, gibt mir Tips. Und schließlich geht es. Ein paar Meter; er läuft, mich am Gepäckträger festhaltend, hinter mir her, bis ich ins Schwanken komme. Und wieder. Und wieder. Schließlich schwanke ich nicht, schaffe es bis zum nächsten Baum und noch weiter, beinahe schon die ganze Einfahrt unseres Schlosses entlang. »Prima, Junge!« Karl Schindlers Stimme klingt erschreckend weit weg. Ängstlich merke ich, daß ich das ganze Stück allein gefahren bin und - kippe um …
    Der kleine Junge hier im Washington Square Park ist schnell getröstet. Schon fährt er wieder, sicherer jetzt, triumphierend.
    Ein nicht besonders vertrauenerweckender Mann kommt mir entgegen, spricht mich halblaut an, »Do you need something?« zeigt mir, unter dem Mantel verborgen, kleine Plastikbeutel mit braunem Inhalt. »Marihuana«, erklärt er. »Best quality«, holt blitzschnell eine seltsame Ampulle aus seiner Tasche. »Morphine«, murmelt er mit kaum geöffneten Lippen, da ich offenbar nicht gleich begreife. Morphium also … Ich schüttle den Kopf, »No, thank you«, wende mich ab, gehe schnell weiter, durchquere den Park, so schnell ich kann.
    Gehe durch den berühmten Triumphbogen, »Washington Arch«, ein kleiner »Arc de Triomphe«, und traue meinen Augen nicht. Mein Blick fällt auf eine schier nicht enden wollende, breite,
gerade, lichtdurchflutete Straße. Die legendäre 5 th Avenue nimmt hier ihren Anfang. Kann kilometerweit blicken, zwischen den Häuserreihen durch, bis in die Unendlichkeit, wie mir scheint. Eine überwältigende Weite des Blickes, und doch geführt von den Wolkenkratzern, in einer bestimmten Bahn gehalten. Das Sonnenlicht spielt in den vielen, vielen Fenstern. Klare, beinahe durchscheinende Luft. Spiel von Licht und Schatten im Rhythmus der Querstraßen.
    Geradeausgehen, das Lebensmotto meines Großvaters, findet hier sein gewaltiges, berauschendes und gleichermaßen verspieltes Bild.
    Freitag nachmittag. Beginn der Rush-hour. Verkehrschaos. Überall gelbe Taxis, die die Farbe der Straßen prägen. Natürlich sind wir nie in einem gefahren. Unnötiger Luxus. So wie wir überhaupt auf dieser Reise durch Amerika überall waren und doch fast alles nur von außen gesehen haben.
    Eine von Anfang an völlig verrückte Idee: 17 000 km in knapp vier Wochen zurücklegen zu wollen, wissend, daß wir im Freien oder zu fünft im Wagen schlafen, uns mit einem Dollar pro Kopf und Tag ernähren würden, daß wir natürlich in kein Museum, kein Theater, keine Show gehen könnten. Wir würden nie dabeisein, immer nur davor. Und trotzdem wollten wir es, hätten um nichts in der Welt darauf verzichtet, und keiner von uns hat es auch nur einen Augenblick lang bereut. Niemand ist so nah dran wie der, der mit dem Herzen dabei ist.
    Ungeahnte Glücksmomente, als wir vor den Metro-Goldwyn-Mayer-Filmstudios standen, wo all jene Filme gedreht worden waren, die unser Amerikabild bis dahin geprägt hatten, als wir das Observatorium sahen, in dem James Dean seine berühmte Messerkampfszene aus »Denn sie wissen nicht, was sie tun« drehte - und natürlich, als wir vor dem »Sands« in Las Vegas standen, gerade als Sammy Davis jr. darin auftrat. Natürlich konnten wir keinen Blick auf ihn erhaschen, keinen Ton von ihm vernehmen, aber allein das Wissen, ganz nah zu sein, das Plakat zu sehen, das von diesem Konzert berichtete, uns davor gegenseitig zu photographieren, bedeutete uns alles. Der Gedanke, eine Karte kaufen und die Show sehen zu können, war nicht mehr als ein flüchtiger, unerreichbarer Wunschtraum, mit dessen Erfüllung niemand von uns ernsthaft rechnete.

    Wir versuchten es trotzdem. Am Spielautomaten. Gesamteinsatz: ein Dollar. Würden wir fünf Dollar gewinnen, so würde man mir von dem Gewinn eine Stehplatzkarte spendieren. Eine Sekunde lang Hoffnung: Was wäre wenn …
    Natürlich war der Dollar schnell verspielt und der Traum ausgeträumt. So what, die Chance war es wert gewesen.
    Einmal auch ein Versuch, dem Traum ein bißchen näher zu rücken: Los Angeles, »Capitol Records«, dem wie aus unzähligen Schallplatten zusammengesetzten Turm der größten und wichtigsten Plattenfirma in diesem Lande. Hier werden die Platten von Frank Sinatra produziert und die von Nat King Cole und überhaupt wohl beinahe alle Platten, die unseren Musikgeschmack in den letzten Jahren geprägt und geformt hatten.
    Lange standen wir davor, bestaunten den Turm. Ich hatte meinen extra für solche Anlässe mitgebrachten

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