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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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engstem Raum, Glück und Verzweiflung, Leid und Ekstase, Geburt und Tod Wand an Wand, Etage an Etage, von den Nachbarn unbemerkt, nur von den Sirenen der Stadt begleitet und dem unheimlichen Gefühl, wenn sie sich nähern. Dieser Tod hat keine Sirenen herbeigerufen. Still und beinahe heimlich war er vor sich gegangen, verborgen unter einer im Sonnenlicht glänzenden roten Decke.
    Bleecker Street, 6 th Avenue: eine legendäre Gegend. Der Ruf dieser Straße hat sich bis zu uns, ins ferne Europa herumgesprochen. Ecke West 3 rd Street, der Traum eines jeden Jazz-Fans: das »Blue Note«. Hinter dieser ganz und gar unspektakulären, schlichten Fassade haben alle Großen der Jazz-Szene gespielt: Von Ella Fitzgerald bis Dave Brubeck, von Count Basie bis Duke Ellington, von Oscar Peterson bis Errol Garner. Ein Tempel des Jazz, der Olymp der Szene. Ein kleiner Schaukasten mit Bildern der Highlights. Stehe fasziniert davor.
    Doch bei aller Begeisterung für diese Musik fühle ich, seit ich in Amerika bin, immer deutlicher, daß dies für mich kein Weg in die Zukunft sein kann: Diese Musik braucht Musiker, die den Bodensatz des amerikanischen Lebensgefühls in sich tragen, die Wurzeln
des »American Way Of Life«, das selbstverständliche Aufwachsen in dieser vielschichtigen Kultur, das von außen kaum zu erwerbende Gefühl für eine Musik, die in der wilden Mischung aus wehmütig-hoffnungsvollen Spirituals der Sklavenzeit und dem bodenständig-heimatverbundenen Countrysound ihren Ursprung findet. Töne für ein schmerzliches und doch immer wieder siegreiches Jahrhundert, für ein ständiges Werden, nicht ein immer wieder beschworenes Sein. Ähnlich wie jede »echte« Volksmusik braucht auch der Jazz die prägende Identität, die dieses Land und dieses Jahrhundert dieser Musik und ihren Musikern gegeben hat. So sehr ich diese Atemlosigkeit, dieses Spiel mit Harmonien bis an die Grenze des Erträglichen auch liebe, in diesem Land wird diese Musik immer »echter« klingen, als wenn wir Europäer sie spielen.
    Für mich selbst suche ich einen anderen Weg, etwas, das mehr auf die Menschen zugeht, ohne sich anzubiedern, etwas, das eine Antwort ist auf die Gedanken und Gefühle, die das Publikum in sich trägt, ohne sie benennen zu können, etwas, das mit Sehnsucht zu tun hat und mit Leidenschaft, etwas, das wie die Unterhaltungsmusik ist, die man am Broadway hört, durchaus mit Elementen des Jazz durchsetzt.
    Das Gespräch mit Gitta hat seine Wirkung nicht verfehlt. Mehr denn je denke ich über meine musikalische Zukunft nach und darüber, daß ich vielleicht wirklich wieder den Mut haben sollte, Lieder zu schreiben, so wie früher, mit 15, 16, 17 Jahren, als ich meiner ersten großen Liebe und meiner ersten großen Enttäuschung Lieder gewidmet habe. Und allem, was meine Teenagerseele berührt hat. Man müßte daran anknüpfen, mit den Emotionen von heute. Gitta hat recht: Das muß in der Zukunft der Weg für mich sein, auch wenn es mich Jahre kosten sollte, ihn mir zu erkämpfen.
    Hätte mich beinahe verlaufen, finde mich in einem kleinen Park wieder. Mit meterhohen Zäunen abgetrennte Basketballplätze, auf denen Jugendliche diesen amerikanischen Nationalsport spielen. Basketball scheint in diesem Lande manchmal eine größere Bedeutung zu haben als Armut, Börsencrashs oder auch die Rassenunruhen in Little Rock. Auf dem Spielplatz schwarze und weiße Kinder wie selbstverständlich im gemeinsamen Spiel. Ein irgendwie beruhigender Anblick.
    Überdimensionierte Schachfelder und die typischen schwarzen
und weißen Figuren. Fast lebensgroß. Konzentrierte Zweikämpfe, schwarze Dame bedroht weißen König oder umgekehrt. Seltsame Parallelen.
    Ein Junge, der ganz in der Nähe Fahrradfahren lernt, nicht merkt, daß sein Vater das Rad längst losgelassen hat und er schon ein ganzes Stück weit allein gefahren ist, sich schließlich erstaunt umdreht und vom Schreck dieser Erkenntnis das Gleichgewicht verliert. Ein Vater, der herbeieilt und dem Jungen lachend wieder aufs Fahrrad hilft.
    So haben wir’s schließlich alle gelernt, denke ich und bin für einen Augenblick auf unserem Kärntner Schloß, Ottmanach, kämpfe mit einem viel zu großen schwarzen Fahrrad. Mein großer Bruder Joe dreht provozierend klingelnd seine Runden um mich. »Nun streng dich doch an, du Pfeife«, fährt lachend davon, während ich immer wieder versuche, ein paar Meter voranzukommen, ohne zu kippen. Karl Schindler, der Verwalter des Gutes und Freund von uns

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