Der Mann mit dem Fagott
sicher nicht einmal auf dem Schwarzmarkt Karten zu bekommen. Aber vielleicht »Porgy and Bess« oder »The Threepenny Opera« - die »Dreigroschenoper« - die zur Zeit hier laufen soll, das wäre doch auch schon was! Ich stecke das Geld wieder ein, lehne mich entspannt zurück und bestelle mir mit weltmännischer Geste eine Portion Erdbeeren mit Sahne, denke an zu Hause, an das kleine Erdbeerbeet bei uns im Garten, dessen Existenz meine Mutter dem Reichsernährungsministerium bei der Erhebung des Reichsnährstands im Krieg verschwiegen hat. Niemand forderte uns in der Zeit der Rationierung auf, die Früchte abzuliefern, und so haben wir auch in den Kriegsjahren pro Ernte eine Schüssel voll mit Erdbeeren aus dem eigenen Garten gepflückt. Es war ein Feiertag für uns, als mein Vater die herrlichen Früchte brüderlich verteilte, sie mit irgendwie organisiertem Zucker bedeckte. »Es muß knirschen«, war sein Spruch. Diese Momente, dieses Glück werde ich nie im Leben vergessen.
Ein Homeless wühlt im Müll eines nahen Abfalleimers, fördert einige undefinierbare Reste zutage, verbirgt sie schnell unter seinem Mantel und verkriecht sich unter dem Treppenaufgang eines Nachbarhauses. Fühle mich plötzlich vom Leben fast unanständig begünstigt und nehme mir fest vor, dem Mann nachher soviel zuzustecken, wie ich selbst für dieses opulente Essen hier bezahle. Irgendwie bin ich das meinem Schicksal heute schuldig.
»Niemand ist so nah dran wie der, der mit dem Herzen dabei ist«
Greenwich Village. Künstlerviertel. An einer Straßenecke ein junger Mann in einem seltsamen bunten Umhang mit langen Haaren, der von Gott predigt, der die Erde längst verlassen habe, vom Zorn des Schöpfers, der Amerika einen vernichtenden Krieg mit Rußland bringen werde, von der Liebe, die allein die Welt retten könnte. Niemand nimmt Notiz davon.
Ein Windstoß weht mir Zeitungen, Plastiktüten, Blätter entgegen. Verschmutzte, vom Abfall kaum befreite Straßen. Ein Problem, das diese Stadt einfach nicht in den Griff zu bekommen scheint.
Ein abenteuerlicher Stadtteil. Schmucke, bunte Häuschen neben verwahrlosten. Zerborstene Fenster, Feuerleitern, die ins Nichts führen. Ein Gewirr aus den wie anscheinend überall in dieser Stadt abenteuerlich verlegten Stromleitungen: außen an Häusern entlang, manche auf von der Zeit schräggestellte Pfosten montiert, irgendwie kreuz und quer die Straße überspannend.
Vielleicht finde ich hier irgendwo eine Jeans, denke ich mir. Ich sollte irgendwo hier unten, im Süden, danach suchen, denn je weiter ich in Richtung Central Park komme, desto teurer wird es werden.
Finde einen riesigen Laden, der mit großen Schildern die heruntergesetzten Preise ankündigt. Neben Cowboyhüten und -stiefeln und Lederjacken mit amerikanischen Motiven bekommt man hier auch Jeans in allen möglichen Formen. Ich will das Original: natürlich eine echte Levis 501, gerade geschnitten, unten umgeschlagen; 8 cm breit sollte die Stulpe sein. Mehr wäre Angeberei, weniger wäre ärmlich. Die hübsche Verkäuferin findet kaum ein Ende darin, den guten Sitz und die hervorragende Qualität der Hose zu loben, und keine Viertelstunde später stehe ich wieder auf der Straße, in nagelneuen Jeans, dunkelblau, gut sitzend, ein ganz neuer Mensch, wie ich finde. Für 3 Dollar 75. Kleider machen eben doch Leute, denke ich und werfe die alte Jeans ein paar Straßen
weiter in einen Mülleimer, so schwer es mir auch fällt. Sie ist einfach hinüber.
»Don’t walk«, das rote Licht beleuchtet die Ampelschrift an der nächsten Straße. Warte, drehe mich gedankenverloren noch einmal um und sehe gerade noch, wie ein zerlumpter Mann am Mülleimer stehend meine Hose herausnimmt und mit seinem Fund hinter der nächsten Ecke verschwindet. Ein etwas seltsames Gefühl, doch wenigstens nützt sie so noch jemandem.
Auf der anderen Straßenseite kommen Männer mit einer Trage aus einem der Häuser. Die Konturen eines schlanken menschlichen Körpers unter einer dünnen roten Decke, die unwirklich in der strahlenden Nachmittagssonne leuchtet. Gespenstische Augenblicke. Fühle beinahe Stille in all dem Lärm. Der Körper wird in einen Lieferwagen gehievt und abtransportiert. Es hat nicht einmal eine Minute gedauert. Eine schnelle, kleine, fast unmerkliche Begegnung mit dem Tod. Keine Trauernden. Ein Mensch ohne Geschichte, jedenfalls für mich, und ich denke an die Schicksalstürme, die in dieser Stadt in die Wolken ragen, Tausende Menschen auf
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