Der Mann mit dem Fagott
leisten könnte.
Die kleinen, geheimnisvoll beleuchteten Schaufenster von »Tiffany & Co.« Das Billigste, was es hier zu kaufen gibt, soll ein silberner Zahnstocher für 6 Dollar sein. Davor ein Bettler, gebückt, in eine fast majestätisch wirkende, lichtblaue Decke gehüllt, die er über seine Schultern geworfen hat. Eine Schachtel mit seinen Habseligkeiten zieht er an einer Schnur hinter sich her. Als eine reiche Dame in weißem Kleid, mit Hut und hohen Schuhen, mit Tüten bepackt aus dem Geschäft kommt, läßt er seine Schachtel in Sichtweite stehen, nähert sich der Frau in devoter Haltung, nimmt ihr die Tüten ab, hilft ihr, sie im Wagen zu verstauen, hält ihr die Wagentür auf, erhält ein paar Cent Trinkgeld, wünscht ihr eine gute Fahrt. Er scheint zufrieden zu sein, kehrt lächelnd zu seiner Schachtel zurück. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Türsteher diesen »Müll« vor der Tür beseitigt.
Linker Hand kommt langsam das Grün eines großen Parks in mein Blickfeld. Das muß der Central Park sein, hoffe ich. Und tatsächlich stehe ich ein paar Minuten später vor dem »Plaza Hotel«. Ein Wolkenkratzer mit barocken Attitüden. Auch hier Türsteher mit bunten Phantasieuniformen. Habe noch Zeit bis zu meiner Verabredung mit Junius Chambers. Hoffentlich wird er überhaupt kommen. Zum ersten Mal der leise Anflug eines Zweifels. Er wird schnell verscheucht.
Central Park. Innerhalb von Sekunden ist nichts mehr zu spüren von der New Yorker Hektik. Der Verkehrslärm, die Sirenen als
leise Klangkulisse wie aus weiter Ferne. Alles blüht, gepflegte Wiesen, zwitschernde Vögel. Irgendwo hier soll es sogar einen Adlerhorst geben. Menschen liegen in den Wiesen, lesen, spielen, lachen.
Straßenmusiker an jeder Ecke. Manche mit seltsamen Instrumenten, einer Gitarre mit aufgesteckter Mundharmonika, ein Mann, der auf unterschiedlich hoch gefüllten Wassergläsern das unvermeidliche »Für Elise« spielt, ein Klarinettist, ein Streichquartett, eine Frau mit einem Saxophon. Sogar ein Schlagzeuger hat sein Instrument aufgebaut und versucht sich in gewagten Rhythmus-Soli. Die Klänge liegen im Wettstreit miteinander, fügen sich zu einem ganz und gar nicht harmonischen, aber lebendigen Durcheinander an Melodien und Klangfarben.
Spaziergänger, Radfahrer, überall angelegte Teiche und Bäche, Brücken, eine Idylle, die den Städtern Ruhe und Frieden schenken soll. Doch vor allem nachts soll dies die gefährlichste Gegend New Yorks sein. Sogar noch gefährlicher als Harlem oder die Bronx. Tagsüber ist davon kaum etwas zu spüren.
Natürlich viele Homeless, die auf den Bänken liegen oder halb hinter Büschen verborgen. Eine Gruppe von Pennern (Homeless klingt eigentlich viel menschlicher), die sich um eine Parkbank versammelt haben und der rauschenden Übertragung irgendeines Baseballspiels aus dem Kofferradio lauschen. Jubeln oder fluchen im Chor mit dem Moderator, während sie eine in braunes Papier gehüllte Flasche herumreichen und brüderlich teilen. Alkohol darf in diesem Land nicht zur Schau gestellt werden. Ganz normal im Straßenbild Menschen mit in braunes Packpapier gewickelten Bier- oder Schnapsflaschen. Seltsame Verschämtheit. Begeisterung über den im Radio verkündeten Spielstand. Die Erfahrung, daß die Faszination eines Baseballspiels sich selbst für diese Menschen am Rande der Gesellschaft nicht verloren hat, erstaunt mich. Als ob Siege und Niederlagen »ihres« Teams irgendeine lebensentscheidene Bedeutung für sie hätten. Die rätselhafte Kraft einer indirekten Hoffnung.
Ein Mann in einem farbenprächtigen, phantasievollen Kostüm. Eine Geige, an der eine kleine Glocke hängt. Er spielt eigentlich keine Melodie, sondern meditative Tonfolgen, die offenbar nur seiner eigenen inneren Stimme folgen. Singt zwischendurch seltsame Töne dazu, schlägt mit dem Bogen gegen die Glocke. Alles wie in
einer Art Trance, ganz und gar nicht an ein Publikum gerichtet, obwohl seine aufwendige Kostümierung eine andere Sprache spricht. Das Ganze hat eine merkwürdige Faszination, als kenne er ein Geheimnis, das er dem, der es versteht, in seinen Tönen offenbart.
Ein weißgeschminkter Gaukler bemalt die Gesichter von Kindern mit phantasievollen Farben. Ein Mann läuft auf Händen. Clowns versuchen, Kinder zum Lachen zu bringen. Eine als Katze verkleidete Frau zaubert riesige Seifenblasen, steigt durch sie hindurch. Ein alter Mann fährt auf einem Einrad. An jeder Ecke wird versucht, Menschen in den Bann zu
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