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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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ist ja eigentlich eine Prachtstraße. Das kann also eigentlich gar nicht sein … Unser Kutscher erzählt uns, gestern nacht hätte es einen der größten Angriffe auf Berlin gegeben.
    Vor einer Ruine, die noch ganz hell brennt, sitzt eine junge Frau und weint. Sie hat nicht einmal einen Mantel an. Ein paar Meter weiter räumen Frauen hektisch Trümmer zur Seite, scheinen nach irgendetwas zu suchen, rufen nach irgendetwas oder irgend jemandem.
    »Und die Ruine da, det war de Jedächtniskirche …«, sagt der Einbeinige beiläufig, aber ich kann erst gar nichts sehen und erblicke dann, im Flammenschein ganz in der Nähe eine Turmruine, die einmal eine große Kirche gewesen sein könnte.
    »De Toten vonne Straße ham se wenigstens schon wechjeräumt«, sagt der Einbeinige in gleichgültigem Tonfall.
    Von den herrlichen Bauwerken unserer schönen Reichshauptstadt sehe ich kein einziges. Ich glaube, ich habe überhaupt kein Haus gesehen, das noch ganz war, und auch mein Vater hat schon zu meiner Mutter gesagt: »Ich glaube ja nicht, daß hier noch irgendetwas steht«.
    Unser Kutscher hat das gehört und hat gesagt: »Nee, nee, det würd ick nich sajen. Im Jrunewald is et noch nich so im Arsch. Da steht noch viel.«
    Wir könnten also Glück haben mit Opas Haus.
    Ich weiß natürlich, daß man Menschen, denen ein Bein fehlt,
nicht anstarrt, und ich will auch eigentlich gar nicht ständig auf das Stück Holz schauen, das aus dem rechten Hosenbein unseres Kutschers ragt, aber irgendwie kann ich meinen Blick doch auch nicht ganz abwenden, und der Kutscher scheint das aus den Augenwinkeln gesehen zu haben, denn plötzlich sagt er zu mir: »Da kiekste Kleener, wa?«
    Ich nicke nur verlegen.
    Er zeigt auf sein Bein.
    »Det war anner Ostfront. Peng - weg war et!« erzählt er gutgelaunt.
    Mit einem Freund, dem das andere Bein fehlt, habe er seine Schuhe geteilt, meint er lachend, und sagt es sei in Zeiten wie diesen doch eigentlich ganz praktisch, nur einen Schuh zu brauchen.
    »Is doch jut, wa, jetzt kann ick für den eenen Schuh bei meinem Freund pennen. Det spart richtig Kohle, wa!« Und er haut sich auf den Schenkel und lacht so laut, als habe er gerade den besten Witz gehört.
    Wir sehen uns betreten an.
    Und dann fügt er hinzu, es sei furchtbar mit den Angriffen in letzter Zeit und meint: »Ick würde ja och jerne abhauen, aber wo soll ick denn hin? Und wat anderes anzuziehen als diese olle Uniform hab ick ooch nich mehr. Allet weg. Wohnung, Klamotten, Been … So is det mit dem Scheißkrieg, wa.«
    Den Rest habe ich nicht mitbekommen, denn ich muß wieder eingeschlafen sein, und plötzlich hält die Kutsche, und ich wache davon auf, und der Mann sagt: »Ick gloob, wir sind da. Kiekt mal, det is es doch, oder?«
    Das Haus steht tatsächlich noch. Es ist eine große, schöne Villa.
    Es gibt offenbar keinen Strom, jedenfalls passiert nichts, wenn man am Lichtschalter dreht. Aber damit haben wir gerechnet. Da meine Mutter viel raucht, hat sie immer Streichhölzer dabei, und in der Küche finden wir Holz und sogar einige Kerzen, so können wir ein bißchen etwas sehen und uns orientieren, denn schließlich kennt niemand von uns das Haus.
    Das Haus ist völlig verlassen und verstaubt. Überall Tücher über den Möbeln, die von einer dicken Staubschicht bedeckt sind. Überall sind Spinnweben, Schmutz, jahrelang nicht geputzte Fenster, die ganz milchig aussehen. Es ist eine geheimnisvolle, gespenstische
Atmosphäre, und wir suchen uns im ersten Stock, in einem der Schlafzimmer, Platz, um unser Nachtlager aufzuschlagen, decken uns mit allem zu, was wir finden. Keiner von uns sagt mehr etwas.
    Lange kann ich nicht geschlafen haben, bis ich in der Morgendämmerung erwache. Ferne Luftschutzsirenen wecken mich mit ihrer beunruhigenden Melodie. Ich schlage die Augen auf, brauche einen Moment, um zu begreifen, wo ich überhaupt bin. Dann hält es mich nicht mehr im Bett.
    Meine Eltern und meine Brüder schlafen noch. Leise schleiche ich mich aus dem Zimmer, gehe über den Flur, blicke in jeden Raum. Da und dort hebe ich eines der Tücher hoch, ganz behutsam. Ich finde einen alten Globus und ein Photo von meinem Vater als Kind mit seinen Brüdern und ein Porträt von meinem Großvater und altes silbernes Teegeschirr, und sogar einen russischen Samowar, wie wir ihn auch in Ottmanach haben.
    Und plötzlich fällt mein Blick im Herrenzimmer meines Großvaters auf etwas Seltsames, das auf dem Schreibtisch steht: oben flach, auf der Seite

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