Der Mann mit dem Fagott
überwältigt und selbst ein wenig erschrocken fest: »Jawohl, Bomber kann man nachspielen.«
»Hör sofort damit auf und komm!« Die ungewohnt scharfe Stimme meiner Mutter. Ich habe sie gar nicht kommen hören. Entsetzt und beinahe starr vor Betroffenheit sieht sie mich an. »Das ist ja furchtbar, was du da spielst. Das hört sich ja an wie ein Bomberverband!«
»Ich wollte doch nur verstehen, wie das Geräusch entsteht, das die Bomber machen!« flüstere ich, klappe betroffen den Klavierdeckel zu, laufe die Treppe nach unten und steige in den Wagen. Der Klang hallt noch in meinem Kopf, während wir losfahren und Ottmanach für unbestimmte Zeit hinter mir in der Dunkelheit dieser Nacht und einer undurchdringlichen Zeit versinkt.
In Opas Haus
Wie lange wir schon unterwegs sind, darüber hab ich den Überblick verloren, und ich weiß auch nie, wo wir gerade sind. Die Züge sind überfüllt, das ganze Land scheint unterwegs zu sein. Man steigt in irgendeinen Zug Richtung Westen oder Norden, kommt irgendwo an, wo es plötzlich nicht mehr weitergeht, sitzt dort stundenlang herum, bis man plötzlich hört, daß wieder ein Zug irgendwohin in ungefähr die Richtung gehen soll, in die man möchte, und man fährt wieder ein Stück.
Immer wieder halten wir, weil die Gleise zerstört sind oder weil wir aus irgendwelchen anderen Gründen nicht weiterfahren können. Ganz oft steht ein Zug stundenlang in irgendeinem Bahnhof, und man wartet auf eine Lok. Die meisten Lokomotiven werden für Truppentransporte gebraucht.
So fahren wir seit Tagen Zickzack durch Deutschland, machen Umwege, und ich hab überhaupt keine Ahnung, wie lange das noch so weitergehen wird.
Überall, im Gang jedes Waggons, an Häuserwänden, in den Bahnhöfen ein seltsames Plakat, das die Silhouette eines großen Mannes mit Hut und Mantel zeigt, der in Lauschhaltung irgendwo steht. Daneben steht in einer seltsam gestalteten Schrift: »Pssst - Feind hört mit!«
Ich finde das Plakat ziemlich unheimlich und kann es mir auch nicht erklären: Heißt das, daß die SS oder die Gestapo immer mithört, schließlich laufen sie ja immer mit solchen schwarzen Mänteln und Hüten herum? Aber warum steht dann da das Wort »Feind«? Oder sollen das die Juden sein, die mithören? Oder die bolschewistische Weltverschwörung, gegen die wir kämpfen? Ich finde einfach keine Lösung. Und irgendwie ist das alles so komisch: einerseits die ständige laute Schreierei aus dem Radio und in der Wochenschau und so und andererseits das immer so wichtige Schweigen, das wir ja schon im Eid der Hitlerjugend schwören mußten. Schreien und Schweigen, dazwischen scheint es irgendwie nichts zu geben.
Meistens fahren wir nur nachts, verdunkelt, um nicht bombardiert oder von Fliegern angegriffen zu werden. Manchmal, wenn es nicht weiterging, haben wir in Bahnhofsmissionen auf dem Boden übernachtet. Die wenigen Feldbetten waren alle belegt, und die Menschen lagen kreuz und quer, wo sie gerade ein bißchen Platz gefunden haben, manche aneinandergekauert. Und wir müssen sehr aufpassen, daß uns nichts von unseren Sachen geklaut wird. Ich lege mich immer irgendwie auf meinen Koffer und beschütze ihn. Mami, Papi und Hilde wechseln sich in der Betreuung von Manfred ab, der oft aufwacht, und wir alle sind froh, wenn es endlich wieder weitergeht. Und wir alle staunen, weil Manfred nie weint. Er ist zwar unruhig, aber sobald man ihn ansieht, strahlt er.
Hilde fragt immer wieder nach meinem Onkel Johnny, den sie
wohl irgendwann bei seinem letzten Besuch bei uns oder in Barendorf kennengelernt haben muß, aber das ist sehr lange her. Wir haben schon furchtbar lange nichts von ihm gehört und haben große Angst um ihn.
»So ein stattlicher und netter Mann«, sagt sie immer wieder und bekommt ganz glänzende Augen. Das ist merkwürdig in diesem ganzen Chaos um uns herum.
Wenn wir irgendwo durch eine Stadt kommen und es ist nicht mitten in der Nacht und verdunkelt, dann sehen wir fast nur Ruinen. Überall auf den Straßen liegt Schutt. Und manchmal hat man vor den Ruinen Plakate aufgestellt, auf denen steht, daß unser Führer an vorderster Front ist und für uns kämpft. Ich stelle mir dann immer den Führer vor, wie er allein vorausläuft und ganz laut schreit und schießt und alle Feinde vernichtet, aber das finde ich eigentlich ziemlich komisch.
Manchmal höre ich Leute etwas von einer Wunderwaffe sagen. Viele glauben, daß der Führer irgendetwas vorbereitet hat, was die Feinde mit einem
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