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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Meter dicke Mauern sollten alles Böse von draußen abwehren. Sie halfen nicht gegen die Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts. Der Glanz alter Feudalherrschaft war unwiderruflich abgebröckelt. Die Welt hatte sich geändert. Besitz dieser Größenordnung war kein Garant für Wohlstand mehr. Besitz zu halten war im Gegenteil ein schier unerschwinglicher Luxus geworden. Die Verhältnisse hatten sich umgekehrt. Was unser Großvater wohl dazu gesagt hätte?
    »Er hätte es längst abgestoßen. Unwirtschaftlichkeit war ihm immer ein Greuel«, sagt mein Vater, und es scheint ihn zu beruhigen. »Er hatte keinen Sinn für Sentimentalitäten. Er war in solchen Fragen ein harter Geschäftsmann, ganz anders als ich es bin.« Mein Vater nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas.
    »Der Lebenskampf fordert eben manchmal harte Entscheidungen«, erklärt er nachdenklich. Dieser Kampf ist offenbar im Moment auch das große Thema im Leben meines Vaters. Ich kann ihn verstehen.
    An meine eigenen Tiefs und Verunsicherungen will ich im Moment nicht denken. Ich habe das Leben vor mir. Fühle Aufwind, zum ersten Mal so etwas wie Erfolg, kleine Chancen. Habe vor einigen Monaten in Berlin mit dem »RIAS Tanzorchester« unter der Leitung von Werner Müller Lieder für den Rundfunk eingespielt, im Herbst letzten Jahres sogar meine erste eigene Platte aufgenommen. Immerhin ein Anfang, auch wenn ich mir die Aufnahmen zuweilen schönreden muß: Lieder, die andere für mich ausgesucht haben, Kompositionen nach dem mir sehr fremden Zeitgeschmack. Irgendwie noch nicht »das Richtige«. Aber es kommt ganz gut an. Ich werde im Rundfunk gespielt. In Bremen wurde sogar schon ein Fanclub für mich gegründet. Ein Udo-Jürgens-Fanclub! Irgendwie kaum zu begreifen. Aber was noch wichtiger ist, ich habe eine erfolgreiche Tournee mit dem Hazy-Osterwald-Sextett absolviert, im Sommer in Wien mit dem Johannes Fehring-Orchester im renommierten »Volksgarten« gespielt, und
in ein paar Tagen werde ich mit einem Engagement im angesehenen Bremer Varieté »Astoria« beginnen.
    Zum ersten Mal in meinem Leben muß ich mir auf einige Monate hin keine Sorgen um das nächste Engagement machen und kann von meinem Beruf leben. Das ist doch immerhin etwas, auch wenn meine Familie sich sicher immer noch Sorgen um mich macht. Ich habe mir sogar schon meinen zweiten eigenen Wagen von meinem selbstverdienten Geld gekauft. Nach dem gebrauchten, grünen VW-Käfer mit 25 PS, den mein Vater mir vorfinanziert hatte, nun ganz ohne fremde Unterstützung einen alten Borgward Diesel, in dem ich etwas mehr Platz habe. Und der schafft immerhin auf der Autobahn fast 100 km/h - wenn es leicht abwärts geht.
    Das alles ist doch nicht schlecht für meine 22 Jahre. Seit dem Esplanade in Salzburg geht es doch aufwärts, auch wenn ich noch lange nicht am Ziel bin.
    Aber auf merkwürdige Weise scheine ich manchmal sogar weiter denn je von dem weg zu sein, was mir eigentlich immer das Wichtigste im Leben war: meine Musik. Lieder von anderen zu singen, das kann es nicht für immer sein. Sänger gibt es genug. Das kann ich vielleicht für ein paar Jahre machen, und dann? Der große Durchbruch scheint sich bei allen Achtungserfolgen nicht anzubahnen …
    Aber vielleicht schaffe ich es ja als Komponist. Irgendwie wird’s schon weitergehen …
    Jetzt kommt erst mal die Amerikareise im Sommer, die mein Freund Herwig Jasbetz für uns beide organisiert. Ein Studenten-Austauschprogramm, bei dem ich endlich das Land meiner Sehnsucht, die Heimat des Jazz sehen, erleben, hautnah werde fühlen können. Was heißt sehen, erleben, fühlen! Ich werde mit Haut und Haar eintauchen in die neue Welt, die neue Musik, die neue Freiheit! Gedanken voll jugendlicher Euphorie.
    Amerika. - Manfred dreht begeistert den Globus im Erker, versucht, die Entfernung zwischen Ottmanach und New York zu ermessen. Und dann jene zwischen Ottmanach und Moskau. Er versucht, sich auszurechnen, wie lange man wohl mit dem Auto fahren müßte, um dorthin zu kommen. Oder mit der Bahn. Oder mit dem Flugzeug.

    »So einfach ist das nicht«, erklärt mein Vater lächelnd. »Da sind ja nicht nur die vielen Kilometer, die zwischen Ottmanach und Moskau liegen, es sind Welten, die diese Stadt von uns trennen. Von der Welt, die ich dort erlebt habe, würdest du dort heute nichts mehr finden. Dort steht kein Stein mehr auf dem anderen.« Er schüttelt bekümmert den Kopf.
    »Ich würde ja nur zu gern wissen, was Baron von Knoop, der Freund meines

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