Der Mann mit den hundert Namen
verrätst, wo ich bin und was ich tue. Pack deine Sachen. Ich will weg von der Insel, bevor die Killer eintreffen.«
Holly atmete erleichtert auf. »Danke.«
»Spar dir das. Ich tue dir keinen Gefallen. Sobald ich sicher bin, daß du keine Gefahr mehr für mich darstellst, trenne ich mich von dir. Ich gebe dir nur einen Rat, Holly. Zwinge mich nicht, dich wie einen Feind zu behandeln.«
15
Halbinsel Yucatán
Eine Rauchwolke lag über der riesigen Lichtung. Mit dröhnenden Bulldozern, Kränen und anderen schweren Maschinen schritt die Arbeit voran, immer wieder unterbrochen von knatterndem Gewehrfeuer. Die gefällten Bäume wurden verbrannt, damit sie den Eingeborenen, die von ihren Angriffen auf die Bautrupps und die Ausrüstung nicht abließen, kein Versteck, keine Deckung boten. Die Steine der geschleiften Ruinen einst herrlicher hoher Pyramiden und Tempel lagen noch zwischen den Stahltürmen, die an ihrer Stelle errichtet worden waren.
Manchmal bebte die Erde, doch die Arbeiter und Wachposten nahmen keine Notiz mehr davon, denn sie hatten sich inzwischen an alles gewöhnt – an Erdbeben, Schlangen, Rauch und Schüsse. Worauf es ankam, war, mit dem Job fertig zu werden, das Geld einzustecken und abzuhauen.
Dahin bringt Alistair Drummond die Menschen, dachte Jenna und setzte, wie ihr befohlen war, die letzten Striche auf die archäologische Übersichtskarte, die veranschaulichen sollte, daß die Funde nicht so bedeutend waren, wie es Aufnahmen aus dem All den Wissenschaftlern suggeriert hatten. Ein paar unbedeutende Bauwerke. Haufenweise umherliegende Gesteinsbrocken, von Erdbeben an die Oberfläche geschleudert. Traurige Überreste einer einst einzigartigen Kultur. Mit einer Ausnahme: dem Spielfeld der Maya. Aus unerklärlichen Gründen hatte Drummond darauf bestanden, daß es erhalten blieb. Dort, auf dem spärlich mit Gras bewachsenen Rechteck, flankiert von einer steinernen Zuschauerterrasse, waren in lederne Rüstungen gekleidete Mannschaften zu einem tödlichen Spiel aufeinandergetroffen. Eine schwere Kugel mußte durch vertikal stehende Reifen an beiden Enden des Feldes geworfen werden. Vielleicht hatte Drummond den Kampfplatz nicht zerstören lassen, weil er seine eigene Grausamkeit symbolisierte, die Verfolgung eines Ziels um jeden Preis.
Er war in Begleitung von Raymond vor zwei Tagen im großen blauen Helikopter von Drummond Industries eingetroffen, um die letzte Etappe des Vorhabens selber zu leiten. »Sie haben gute Arbeit geleistet«, lobte er Jenna. »Sie erhalten zusätzlich einen Bonus.«
Sie hatte einen Dank gemurmelt, im stillen aber aufgeschrien:
»Bloß heil hier rauskommen – nichts weiter.« McIntyre, der Projektleiter, war kurz vor der Ankunft des Hubschraubers gestorben.
»Beerdigen Sie ihn dort, wo die Eingeborenen nicht rankönnen. Nein, ich habe es mir anders überlegt. Verbrennen Sie ihn. Genau wie die anderen.« Mehr hatte Drummond nicht dazu gesagt.
»Die anderen«, das waren die Maya, die bei dem Versuch, die Schändung des geheiligten Landes zu verhindern, niedergemetzelt worden waren. Jenna war beinahe verrückt geworden, als sie von dem Massaker hörte. Einige Gebiete Mexikos waren so entlegen und besaßen so wenig Verbindung zur Außenwelt, daß niemand in der übrigen Welt eine Vorstellung davon hatte, was hier geschah. Wenn es eines Tages bekannt wurde, dann gäbe es keinerlei Spuren der Greueltaten mehr. Und wer würde schon reden? Etwa die Arbeiter? Nein, nur ein Narr würde das Schweigen brechen. Denn jeder würde für mitschuldig gehalten werden.
Nun stand sie im Büro mit den rohen Holzwänden und hörte sich wie betäubt Drummonds Kommentar zu ihren Karten an.
»Natürlich werden wir Fotos veröffentlichen, doch wird man vor allem Ihren grafischen Darstellungen Beachtung schenken.«
Da ging die Tür auf, Raymond erschien in Dschungelausrüstung, ein Gewehr in der Hand, das Gesicht rauchgeschwärzt und das Hemd blutbespritzt. »Drei hab ich wieder erwischt, aber es laufen noch viel mehr herum.«
»Machen Sie sich auf ein anderes Wild gefaßt – eines, das uns jagt«, eröffnete ihm Drummond.
»Wer ist es?« Für Raymond war das eine Herausforderung.
»Ein Toter. Charles Duffy. Erinnern Sie sich?«
»Ja, er hatte den Auftrag, das Haus der Frau in San Antonio zu beobachten. Vor drei Tagen ist er verschwunden.«
»Er wird nicht mehr vermißt. Seine Leiche wurde am Ufer des San Antonio River angespült. Erschossen. Dennoch, Mr. Duffy ist ein
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