Der Mann mit den zwei Gesichtern
Gerhard wollte sie. Er hatte nach einer Nachricht gesucht und gefragt. Jetzt würde alles gut werden.
Sie wählte die erste Nummer.
„Bauer.“
Eine völlig fremde Männerstimme.
„Entschuldigen Sie die Störung“, begann Franziska. „Aber spreche ich mit Gerhard Bauer?“
„Am Apparat. Was gibt es denn?“ Dieser Gerhard hatte einen stark nordischen Akzent und war ganz sicher nicht ihr Gerd.
„Ich glaube“, sagte Franziska rasch, „ich suche einen anderen Gerhard Bauer. Entschuldigen Sie bitte nochmals.“
Sie legte auf.
„Falsch“, stellte die Wirtin trocken fest. „Jetzt der nächste.“
Franziska wählte und landete bei einer Frau. Oh wie peinlich. „Ich möchte gerne Gerhard Bauer sprechen.“
„Da müssen Sie im November wieder anrufen“, antwortete die Frau gelassen. „Mein Mann ist beruflich im Ausland.“
„Seit wann?“, fragte Franziska mit dünner Stimme. Nach dem neuesten Stand der Dinge glaubte sie zwar nicht, dass ihr Gerhard verheiratet war, aber gänzlich ausgeschlossen war es trotzdem nicht.
„Schon seit Ende April“, antwortete die Frau. „Warum?“
„Ach, dann meine ich einen ganz anderen Gerhard Bauer“, strahlte Franziska ins Telefon. „Tut mir leid für die Störung.“
„Nur noch einer“, sagte die Wirtin und deutete hoffnungsvoll auf die nächste Gerhard-Bauer-Telefonnummer. „Der muss es dann ja sein.“
Franziska nickte. Das sah sie auch so. Ihre Hände waren inzwischen ganz verschwitzt und ihr Herz raste. Jetzt gleich würde sie seine Stimme hören. Mit fahrigen Fingern wählte sie.
Es tutete. Einmal, zweimal, dreimal. Dann sprang ein Anrufbeantworter mit einer munteren Männerstimme an: „Hier ist die Wohngemeinschaft von Stefan Klein, Andreas Wohlmut und Gerhard Bauer. Wir sind zurzeit pflichtschuldig in der Uni und gehen unseren Studien nach. Also keine Sorge. Wer uns nicht glaubt, soll hier eine Nachricht hinterlassen, wir rufen nach Ende der Vorlesungen gerne zurück.“
Es piepste.
Franziska legte auf. „Wieder falsch“, sagte sie in die erwartungsvollen Gesichter vor sich.
„Was jetzt?“, fragte Andrea.
„Es gibt doch noch diesen G. Bauer“, sagte Franziska. „Den probier ich auch noch.“
G. konnte alles heißen. Gabi, Gebhard, Gerda oder Georg. Namen mit 'G' gab es schließlich reichlich. Aber es konnte eben auch Gerhard bedeuten – und deswegen musste sie anrufen. Sie wählte und wartete. Und wartete. Und wartete.
„Es geht niemand ran“, sagte sie, als sie nach dem zehnten Läuten auflegte.
„Sie können es später noch mal probieren“, nickte die Wirtin voller Eifer. „Wollen Sie in dieser Zeit etwas essen?“
„Nein danke“, schüttelte Franziska den Kopf. „Wir haben Sie lange genug aufgehalten.“
„Aber das war doch nicht der Rede wert“, wehrte die Wirtin ab. „Sie können gerne hier ein wenig warten und dann telefonieren.“
Das glaubte Franziska sofort. Immerhin würde der neugierigen Wirtin die ganze Show entgehen, wenn sie jetzt hier weggingen.
„Vielen Dank“, Franziska stand auf und reichte der Wirtin freundlich lächelnd die Hand. „Sie haben mir wirklich sehr geholfen.“
„Ich hoffe,“ schaltete sich da Andrea neben ihr wieder ein. “Ich hoffe doch, dass dieses Gespräch ebenfalls unter Ihre Schweigepflicht fällt.“
„Aber natürlich“, beteuerte die Wirtin auch sofort und verschloss ihre Lippen mit dem Finger. „Alles, was hier geredet wurde, wird diese vier Wände niemals verlassen. Nicht wahr, Gudrun?“
Die junge Frau nickte zustimmend. „Alles Gute.“
Und dann standen Andrea und Franziska draußen.
„Wer's glaubt, wird selig“, murmelte Franziska, während sie zum Auto gingen.
Andrea kicherte bloß.
„Los steig ein, wir haben zu tun“, befahl Franziska. Sie hatte einen Plan gefasst, den sie sofort in die Tat umsetzen wollte. „Wir fahren zu G. Bauer nach Niederkala.“
„Du weißt die Adresse?“, fragte Andrea.
Franziska nickte. „Hauptstraße zwei. Ich schwöre dir, ich bleibe dort vor der Tür sitzen, bis er kommt.“
„Du bist sicher, dass er es ist, nicht wahr?“
Franziska nickte wieder. „Er muss es einfach sein.“
Die letzte Hoffnung
Das Haus Nummer zwei in der Hauptstraße von Niederkala war ganz und gar nicht bemerkenswert, ziemlich klein, die Breitseite zur Straße gewandt. Putz bröckelte von den Wänden und einige der einstmals bestimmt sehr hübschen, jetzt aber Farbe abblätternden Fensterläden hingen schief in den Angeln. Der
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