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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Aber das Kind sah gut aus. Ich werde tun, was ich kann, damit sie das Kind möglichst bald herauf schicken. Das müssen 40 Babys gewesen sein da unten. Alle Mütter müssen warten. Vermutlich, damit sie ihre Kraft erst wieder zurückgewinnen. Unser Baby sieht sehr stark aus, das kann ich dir versichern. Mach dir bitte keine Sor- gen.«
»Ich wäre so glücklich mit meinem Baby.«
»Ich weiß, ich weiß. Es dauert nicht mehr lange.«
Eine fette mexikanische Krankenschwester kam herein: »Ich muß Sie bitten, jetzt zu gehen.«
»Ich bin aber der Vater.«
»Das wissen wir. Aber Ihre Frau muß sich ausruhen.«
Ich drückte Fays Hand, küßte sie auf die Stirn. Sie schloß die Augen und schien in dem Augenblick zu schlafen. Sie war keine junge Frau. Vielleicht hatte sie nicht gerade die Welt gerettet, aber sie hatte eine wesentliche Verbesserung geschafft. Hut ab vor Fay.
    14
    Marina Louise, so taufte Fay das Kind. Da war sie also, Marina Louise Chinaski. Im Kinderbettchen beim Fenster. Über sich sah sie das Laub der Bäume und helle Umrisse, die auf der Decke tanzten. Dann weinte sie. Wieg das Baby, sprich mit dem Baby. Das Mädchen wollte die Brüste Ma- mas, aber Mama war nicht immer bereit, und ich hatte nicht die Brüste Mamas. Und außerdem war immer noch mein Job da. Und jetzt die Tumulte. Ein Zehntel der Stadt stand in Flammen...
    15
    Im Aufzug nach oben war ich der einzige Weiße. Es schien merkwürdig. Sie unterhielten sich über die Unruhen und blickten mich nicht an.
    »Herr Gott«, sagte ein rabenschwarzer Typ, »das ist viel- leicht ein Ding. Diese Burschen torkeln besoffen durch die Gegend - mit Whiskyflaschen in der Hand. Bullen fahren vorbei, aber die Bullen steigen nicht aus, sie wollen nichts von den Besoffenen. Am hellichten Tag. Leute rennen mit Fernsehgeräten, Staubsaugern und all dem Zeug herum. Das ist wirklich ein Ding...«
    »Klar, Mann.«
»Die schwarzen Ladenbesitzer haben Schilder ins Fenster gehängt, >BLUTSBRUDER<. Und die weißen auch. Aber die können den Leuten nichts vormachen. Die wissen schon, welche Läden Whitey gehören...«
»Klar, Bruder.«
Dann hielt der Aufzug im dritten Stock, und wir stiegen alle miteinander aus. Ich hielt es für das beste, zu dem Zeitpunkt keinen Kommentar abzugeben.
    Nicht viel später meldete sich der oberste Postbeamte der Stadt über den Lautsprecher:
»Achtung! Der ganze Südosten der Stadt ist verbarrika- diert. Nur wer sich entsprechend ausweisen kann, wird
durchgelassen. Nach 19 Uhr herrscht Ausgehverbot. Dann wird niemand mehr durchgelassen. Die Barrikade erstreckt sich von der Indiana Street zur Hoover Street und vom Washington Boulevard zum 135th Place. Alle, die in diesem Gebiet wohnen, können sofort nach Hause gehen.«
Die Angestellten fingen alle an zu reden. Die Schwarzen standen auf und gingen. Es würden nicht viele Angestellte übrigbleiben. Das hieß mit Sicherheit, daß es Überstunden geben würde. Sie nahmen ihre Stempelkarten aus den Fä- chern am Ende der Durchgänge und stempelten.
Ich stand auf und griff nach meiner Stempelkarte.
»Heh! Wohin so eilig?« fragte mich der Aufseher.
»Haben Sie die Durchsage eben gehört?«
»Das schon, aber Sie sind doch nicht -«
Ich griff mit der linken Hand in meine Tasche.
»WAS bin ich nicht? WAS bin ich nicht?«
Er blickte mich an.
»Was weißt denn du schon, WHITEY?«
Ich nahm meine Stempelkarte, ging zur Tür und stem- pelte.
    16
    Der Aufstand ging zu Ende, das Baby wurde ruhiger, und ich fand Möglichkeiten, Janko auszuweichen. Doch die Schwindelanfälle waren hartnäckig. Der Arzt gab mir ein Dauerrezept für die grünweißen Librium-Kapseln, und die halfen ein bißchen.
    Eines Nachts stand ich auf, um einen Schluck Wasser zu trinken. Dann kam ich zurück, arbeitete dreißig Minuten und machte dann die mir zustehende Pause von zehn Mi- nuten.
    Als ich mich wieder auf meinen Platz setzte, kam Cham- bers, ein hellhäutiger Neger, auf mich zugelaufen:
»Chinaski! Diesmal haben Sie sich endlich den eigenen Strick gedreht! Sie sind vierzig Minuten weggewesen!«
Chambers war eines Nachts mit einem Anfall zu Boden gestürzt, schäumend und zuckend. Auf einer Tragbahre hatten sie ihn weggetragen. Am nächsten Abend war er wieder
    da, mit Krawatte und neuem Hemd, als sei nichts vorge- fallen. Jetzt versuchte er es mit dem alten Trinkbrunnen- Trick.
    »So hören Sie doch, Chambers, seien Sie vernünftig. Ich hab einen Schluck Wasser getrunken, bin zurückgekommen, habe dreißig Minuten gearbeitet

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