Der Mann schlaeft
langsam in leicht kühlem Wasser und sähe schon das andere Ufer, an dem es auch nicht interessanter wäre.
Keine Ohnmacht stellte sich ein an jenem Tag vor vier Jahren, mir wurde nicht schwindelig, weder begann ich zu toben, noch zuckte ich ekstatisch, vielmehr wurde ich von einer völlig unerklärlichen Müdigkeit befallen, die mich schwer machte und ruhig.
Halb schlafend spürte ich, dass der Mann sich für mich interessierte, konnte aber nicht sagen, was seine Aufmerksamkeit weckte. Mein Äußeres war nicht dazu angetan, andere spontan zum Jubeln zu veranlassen, ich sah irgendwie aus. Auch meine geistreichen Kommentare waren wohl kaum der Auslöser für sein Interesse, denn wir redeten wenig.
Erst lehnten wir nebeneinander auf dieser roten Bank und lauschten den Gesprächen der Menschen, die klangen wie leise Musik in einem Fahrstuhl, und irgendwann standen wir zusammen auf und verließen das Restaurant, was, wie es den Anschein hatte, unseren Begleitern egal war. Aber vielleicht hatten wir sie auch nur vergessen. Wir liefen völlig unverständliche Straßen entlang, ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden, und waren müde auf eine Art, dass wir sofort leise zu Boden gleiten wollten. Von ihm erfuhr ich das später, bei mir merkte ich es gleich. Jeder Schritt erforderte eine immense Anstrengung.
Unser Gespräch lief so schleppend, dass es eigentlich nicht existierte. In jener ersten Nacht.
Wir schwiegen, weil es das Höflichste war unter Menschen, die sich nicht vertraut sind. Ab und an folgten wir müde den Konventionen und erkundigten uns nach unseren Lebensumständen. Der Mann arbeitete in der Holzverarbeitung, Näheres vergaß ich sofort wieder. Ich dachte doch so weit in Klischees, dass ich verstört gewesen wäre, hätte er ein Management Consulting Office oder ein Event Catering betrieben. Holzverarbeitende Berufe bargen ausreichend Potential für naturromantische Illusionen, und das langte mir für den Moment. Er wohnte in einem kleinen Haus mit Seesicht, das interessierte mich schon eher, denn kleine Häuser mit Seesicht verdienen Aufmerksamkeit und Zuneigung. Der Mann liebte Berge. Er sagte nicht: »Ich liebe Berge«, sondern äußerte sich in einer Männerart, die fast ausgestorben scheint, in einer Zeit, da jeder Mann, wenn er schon keine Ahnung von seinem Innenleben hatte, doch Emotionalität vortäuscht. Der Mann sagte: »Ich werde unruhig, wenn ich längere Zeit keine Berge sehe. Ich will nie auf sie steigen, ich will nur, dass sie da sind.« Wir gingen weiter, die Nacht wurde schwarz, und schließlich standen wir vor dem Hotel, in dem er schlief. Der Moment war seltsamerweise nicht aufregend und endgültig zugleich. Wir umarmten uns, und ich wusste, dass ich aus diesen Armen und von dem festen runden Leib nicht mehr wegwollte.
Heute.
Abend.
Ich sehe aus dem Fenster in der unsinnigen Hoffnung, dass mich einer entdeckt, von unten, und zu mir kommt, mit der erklärten Absicht, ein wenig neben mir sitzen zu bleiben.
Ich bin die einzige Person, die die Energie aufbringen wollte, mich zu bemitleiden, wäre da Energie vorhanden. Mitgefühl bringt man für die engsten Angehörigen auf. Für das Kind, die Eltern. Meist findet schon zwischen Partnern kein wirkliches Mitleid mehr statt, und den Bewohnern des eigenen Dorfes oder Landes bringt man nur noch Sätze der wohlerzogenen Anteilnahme entgegen, die eigentlich meinen: Gut, dass es mich nicht getroffen hat.
Hat man das Bedürfnis, sich völlig aufzulösen, empfiehlt es sich, in einen anderen Kulturkreis zu reisen, in ein Land das nicht vertraut ist, eine fremde Sprache, eine sich von der eigenen unterscheidende Hautbeschaffenheit – und schon spürt man die eigene Existenz kaum noch. All diese wundervoll gelungenen Egoauflösungen, denen man begegnen kann, in tropischen Ländern, wo sie unter Ventilatoren sitzen, das Hirn wie von der Syphilis zerfressen, da wollten sie ein Leben im Paradies und haben doch nur Hitze und Einsamkeit gefunden, in neongrünen Räumen. So viele sind mir begegnet, die ausgezogen waren mit der lächerlichen Idee, man würde sie herzlich willkommen heißen, in Thailand, Kambodscha, Laos, und immer waren da am Anfang, wenn es noch Geld gab, kleine reizende Frauen, später waren sie weg, die Männersaßen verwirrt am Strand, ohne Geld für den Rückflug, und wenn ja, wohin zurück? In Orte, die Duisburg oder Liverpool hießen, in denen die Sonne nie zu sehen war und der Lebensverlauf so berechenbar. Dann lieber im Meer
Weitere Kostenlose Bücher