Der Mann schlaeft
bereitet sich darauf vor, der Körper einer alten Frau zu werden. Es macht mich nicht traurig, ich registriere es nur, an diesem Tisch, im zu grellen Licht der Lampe, die an einem Baldachin hängt. Die Hände scheinen bereits einer mir fremden Person zu gehören. Deutlich treten die Sehnen hervor, fast als hätten Tiere kleine unterirdische Gänge angelegt in mir; jeden Moment könnten Gesichter unter meiner Haut hervortreten, wie unter einer Gummimaske würden sie sich abzeichnen. Ich lege den abgezählten Betrag für die Nudeln auf den Tisch und krieche meine Treppen hoch, es sind immer noch dreiundzwanzig Stufen, in meine Wohnung, in der immer noch nichts passiert ist. Lege mich auf das extrem unbequeme Bett. Und warte.
Das konnte mir noch nie einer erklären, wie man leben kann mit dem Wissen, dass man bald Insektenfutter wird. Dieses Geliege unter der Erde, das konnte mir keiner erklären. Die Therapeuten sind gescheitert. Der Neurologe konnte nichts feststellen. Und meine Freunde, als ich noch welche hatte, fanden mich negativ. Man muss das Leben doch genießen, sich fortbilden, weiterentwickeln, Ziele haben, Visionen. Ich vermisse die Freunde nicht.
Ich fand mich normal und sah nicht ein, warum ich mich bewegen sollte, warum all den Mist mitmachen, diese albernen Spiele. Wir leiden an uns, wir fühlen uns unzulänglich, wir studieren, wir machen Kurse, wir fühlen uns ungeliebt,und wir sind es auch. Dann haben wir Sex. Mit Geräten. Mit Komplexen. Mit Angst, Angst, Angst. Wir suchen Partner, finden keinen. Werden schwanger. Oder nicht. Haben Angst, weil wir nicht schwanger werden oder doch, und dann kommt das Kind, wir kennen es nicht, wir pflanzen es in einen Blumentopf. Wir rennen, um Geld zu haben, haben Geld und Angst, es zu verlieren, geben es aus, um geliebt zu werden, werden nicht geliebt. Und wenn doch, dann aus Versehen, dann sind es nur Hormone, ich ess dich, ich ess dich, und gleich wieder weg. Die ersten Wochen wäre es befremdlich. Reste von mir würden meinen, etwas zu verpassen, draußen in der Welt, in der immer Winter war. Eine Unruhe würde machen, dass ich meine Position ständig verändern müsste, Rückenschmerzen und Kopfschmerzen verschwänden, in der sechsten Woche. Die Fensterläden geschlossen, und die Augen gewöhnten sich an das Dunkel, daran, dass es nichts zu sehen gab. Nachts ginge ich zum Kühlschrank, aus Gewohnheit, und sähe in das leere Licht. Ich hörte den Wind nicht mehr, von draußen, und auch das Rauschen meines Blutes verstummte. Die Körperfunktionen auf ein Minimum reduziert, verbrächte ich die Tage im Halbschlaf, die Nächte in Dunkelheit. Vermutlich wäre es schmutzig in meinem Zimmer, vermutlich roch der Eimer, in den ich ausschiede, den ich nicht leerte, ich weiß es nicht. Ich läge da und wartete. Es wäre mir wohler als all die Jahre zuvor. Es wäre mir wohl, das Gehirn auf Bildschirmschoner gestellt, läge ich da und hätte die Augen halb geöffnet. Vielleicht sollte ich das einfach machen. Ab jetzt. Liegen bleiben und warten, was passiert, oder noch besser: auf nichts mehr warten.
Damals.
Vor vier Jahren.
Für die unklar umrissene Zeit der Anwesenheit des Mannes in meiner Stadt erstellte ich minutiöse Pläne, denn ich glaubte, dass man alles daransetzen musste, der Realität wehrschaft zu begegnen, die bedeutete, dass es keinen wirklichen Grund dafür gab, dass einander unvertraute Menschen ihre Zeit miteinander verbrachten.
In der Naivität eines Alleinlebenden war ich davon ausgegangen, dass Paare ihre Freizeit intensiv gestalten müssten, weil sich ansonsten die Stille, die zwischen ihnen steht, als bösartiges Geschwür manifestieren würde.
Das Beziehungsmodell, das mir von verschiedenen Kunstformen her bekannt war, basierte auf rein sexueller Anziehungskraft, die nach einer gewissen Zeit erlosch. Was Partner dann miteinander trieben, blieb unklar und wurde meist als Elend vermittelt.
Keiner hatte sich je der Anstrengung unterzogen, eine Liebe zu schildern, die ruhig und still verlief, die freundschaftlich war und eine gewisse Niedlichkeit ausstrahlte. Von Liebe berichten, so schien es, ausschließlich Personen, die mit dem Begriff und dem Gefühl dazu nicht vertraut sind. Alte Herren schreiben über ihre Geilheit und über den Hass in langen Beziehungen, Frauen machen Filme über Sehnsucht oder Seitensprünge, Therapeuten geben Ratschläge. Die Welt voller Menschen im Dauerzustand unerfüllbarer Träume.
Auch ich war ein Opfer falscher Ideen
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