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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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Geruch ihrer Fäkalien strömt. Ablenkung tut not, ich beobachte die Wohnung, die im Halbdunkel auch nicht schlafen kann. Sie hat ein Schlafzimmer, das mit dem Doppelbett überfüllt ist, ein kleines Fenster geht auf die Hauptstraße, ein Stock unter dem Bett, mit Läden, Restaurants, Chinesen. Touristen. Am Wochenende werden sie wiederkommen. Pünktlich mit der Zehn-Uhr-Fähre – Schüler, die Krach machen, aber vielleicht sind es keine Schüler, sondern junge Erwachsene, und ich einfach zu weit entfernt von ihrem Jahrgang, um ihr Alter schätzen zu können. Sie werden über die Insel laufen, eine halbe Stunde von der Fähre zum Strand. Dort werden sie, ohne sich ihrer adretten Kleidung zu entledigen, Drachen steigenlassen oder im Sand sitzen und sich ordentlich betragen. Sie werden kichern und nach zwei Stunden wieder aufbrechen. Pudding essen unter Bäumen, zu der kleinen Hauptstraße laufen, an der ich wohne, in den Souvenirläden Gummibälle und Handyanhänger kaufen, zuletzt in einem der Restaurants am Wasser Fisch essen. Dann werden sie mit der Fähre zurückfahren nach Hongkong, wo sie in viel zu kleinen dunklen Wohnungen leben, und sich auf den nächsten Sonntag freuen.
    Ich weiß nicht mehr, wie das Gefühl zu dem Wort funktioniert. Ich stehe ratlos in der Küche, von der aus ist das Meer fast zu sehen, auf jeden Fall riecht man es – als ich noch etwas gerochen habe, war da sicher Meer in der Nähe –, und weiß nicht mehr, wie es ist, sich zu freuen. Gehe ich aus der Wohnung die steile Treppe hinab, stehe ich im Restaurant, fünf Tische direkt am Wasser, links das Kohlekraftwerk, das mir so gefallen hat, als mir noch etwas gefallen hat, denn es fügte sich so freundlich in die Berg-Meer-Dschungel-Idylle, mit seinen drei Schornsteinen. Ich mag es, wenn sich praktische Dinge in der Natur befinden. Menschen, Geschäfte, Kraftwerke, sonst wird mir die Natur zu übermächtig, zu klar, dass ich ihr völlig egal bin, der Natur, der Welt, den anderen Milliarden, drum betoniert sie fleißig zu, die grüne Hölle!
    Die Insel besteht zum überwiegenden Teil aus felsigem Untergrund, der unbebaut und freundlich leer ist. Die Menschen wohnen, wie sie es gerne tun, zusammen in der Nähe der Fähre, an der Hauptstraße und in einer Siedlung im Dschungel.
    Nach einer Woche hat man jeden, der hier lebt, schon einmal gesehen, die Ausländer sind Freaks, Esoteriker, zotteligeAussteiger oder mäßig bezahlte Computerfachleute, die sich die Mieten in Hongkong nicht leisten können, ich kenne jeden von ihnen, und auch die chinesischen Gesichter kann ich inzwischen unterscheiden.
    Das Leben auf der Insel ist wie das, was man sich nach dem Ende der Hochzeit des Kapitalismus vorstellt. Eine Mischung aus Mittelalter und Hightech, Selbstversorger und Gebäude, die dagegen zu kämpfen scheinen, dass der Dschungel sie frisst. Wir hatten uns überlegt, wie es wäre, hier ein Haus zu kaufen. Ich hätte überall mit ihm sein können. Und ohne ihn nirgends.

Damals.
Vor vier Jahren.
    Ich vermisste den Mann bereits eine Stunde nach unserem Abschied auf eine sehr körperliche Art.
    Mir war kalt.
    Es war uns nicht vergönnt, unserer Bekanntschaft telefonisch eine gewisse Dreidimensionalität zu geben, denn riefen wir einander an, saßen wir in der Folge schweigend mit Hörern in der Hand und schauten aus dem Fenster. Drei Wochen saßen wir mit dem Telefon in der Hand und sahen auf die Straße oder sendeten uns Kurzmitteilungen mit außerordentlich belanglosem Inhalt. Ich gehe einkaufen. Ich habe ein Tier gesehen. Schlaf gut. Worte, die nichts meinten, außer, dass wir aneinander dachten. Es wäre mir sehr unangenehm gewesen, hätte ich Dinge lesen müssen, die sexueller Natur waren oder von Liebe handelten. Weder konnte ich über solcherlei Themen reden, noch gelang es mir, darüber zu lesen, ohne dass mir sehr kalt im Nacken wurde.
    Ich schlich durch mein Leben, dem es auffallend an Harmonie gebrach, und füllte meine Tage, wie mir schien, mit Unsinnigkeiten.
    Es war neu, dass ich die kleine Melancholie, die oft bei mir zu Besuch war, einem klaren Ursprung zuordnen konnte. Der bedauernswerte Zufall, der Menschen geschaffen hat, ohne sie mit einer klaren Aufgabe auszustatten, war ohne jemanden, den man gerne berühren wollte, schwer zu ertragen.
    Dass ein neuer Abschnitt meines Lebens beginnen würde,merkte ich daran, wie ich von allem Vertrauten Abschied nahm. Vielleicht geschehen merkwürdige Dinge gerade, wenn man entspannter wird und

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