Der Mann schlaeft
geworden undkonnte mir nicht vorstellen, was ein Paar nach dem Abklingen der Erregung verbinden mochte. Sah sie sitzen, sich alte Schallplatten vorspielend und gähnend. Dann kämen Freunde zu Besuch, und man würde Rollenspiele machen, was auch immer das sein mochte. Am Sonntag gingen die Paare in den Garten und würden Gasmasken anlegen, zu ihrer Erbauung. Wir hatten doch alle keine Ahnung!
Aus Sorge um Stillschweigen verplante ich während des Mannes Anwesenheit akribisch jeden Tag, mit Kammerkonzertbesuchen, Ausstellungen in Zinnmuseen, geführten Stadtspaziergängen mit Märchenerzählern, und selbstverständlich waren wir im Zoo gewesen. Dort hatten wir einen Ameisenbär mit der Kraft unserer Gedanken zum Ausführen von Kunststücken gezwungen.
»Man kann jedes Tier beeinflussen, wenn man nur lange genug den Punkt zwischen seinen Augen fixiert«, sagte der Mann, und wir starrten das unserer Kraft ohnmächtig ausgelieferte Tier an. »Sollten wir ihm nicht noch eine Aufgabe übermitteln?« fragte ich. Der Ameisenbär begab sich verstört in eine Ecke. Ich hatte ihm befohlen, sich auf den Rücken zu legen. »Ich habe ihm aufgetragen, sich in einer Ecke aufzuhalten«, sagte der Mann.
Er gewann immer.
Beim Beeinflussen von Tieren. Beim Erraten sexueller Vorlieben uns Unbekannter, und vor allem siegte er in jedem Gelassenheitswettbewerb mit einem Lächeln.
Ich, die ich erfreulich wenige Menschen kannte, war noch nie jemandem begegnet, der der Welt so wohltemperiert begegnete wie der Mann, wahrscheinlich weil er nicht übermäßig an Wertungen interessiert und frei von Projektionenschien. Unklar, ob er schlichten Gemütes war oder ob seiner Unfähigkeit, sich zu erregen, ein buddhistisches Prinzip innewohnte.
Es war Frühling. Natürlich war Frühling. Irgendwann, Mitte Februar, in der Zeitrechnung der bedeutungslos gewordenen Jahreszeiten, des Dauerregens, der Auflösung.
Jahre war es her, dass ich eine Person, die nicht ich war, täglich getroffen hatte. Um genau zu sein, vermutlich waren meine Eltern die Letzten gewesen, mit denen ich in gewisser Regelmäßigkeit verkehrt hatte. Das stellt man sich doch nicht vor, in seinen Träumen von Liebesgeschichten; dass die Anwesenheit von jemandem vierundzwanzig Stunden am Tag bedeutet, das eigene Leben zu ändern; man träumt von Sekundenaufnahmen, von Wegen in der Herbstsonne, Licht, das durch Küchentüren fällt, und Großmutter lebt noch.
Dass es hauptsächlich meint, neben einem anderen zu gehen, zu liegen oder zu stehen, wenn man davon spricht, sein Leben miteinander zu verbringen, ist ein Umstand, der in der Weltliteratur kaum Erwähnung findet.
Ich konnte mich sehr gut neben dem Mann aufhalten. Weder drückte er sich in Stereotypen aus, noch versuchte er sich in irgendeinem Bereich als besonders befähigt herauszustellen. Es gab zwischen uns eine schweigende Übereinstimmung in dem, was wir als gegeben voraussetzten, woran wir glaubten und was wir verachteten, und die bemerkte man nur, weil es kaum etwas gab, was uns aneinander verwunderte. Wir verhielten uns, als könnten wir den komplizierten Beginn der Bekanntschaft überspringen und an dem Punkt weitermachen, da man gemeinsam eine Grabstätte sucht.
Ich lag neben dem Mann, auf einer Bank, einem Sofa, einerWiese, ich habe es vergessen, weiß nur, dass mein Kopf in seinen Händen befindlich war und ich über unseren absurden Beschäftigungen erschöpft. Vielleicht war es auch nur eine Schwere in den Gliedern, die der Dauerregen hervorgerufen hatte, oder die Angst, dass mir der behagliche Zustand wieder genommen werden könnte. Und als ahnte er, was mich matt hatte werden lassen, teilte mir der Mann mit, dass er nun wieder nach Hause müsse.
Heute.
Mitternacht.
Die Nacht hängt formlos im Raum, ohne Ende und Anfang.
Merkwürdige Geräusche von draußen. Warum kann es noch nicht einmal ordentlich dunkel werden hier, ruhig werden, tot sein, müsst ihr denn die Weltmacht schon morgen erobern, geht doch zu Bett, packt eure Gesichter auf weiße Kissen und spuckt und schlaft. Geschlafen wird nicht – jeder will reich werden. Um sich damit die Illusion einer Welt zu kaufen, wie man sie sich aus einer guten alten Zeit vorstellt. Irgendwas mit Platz und Natur und Ruhe. Davon träumen sie, während sie die Erde zubetonieren und ihre Ausscheidungen in Kanäle leiten, die Wälder abbrennen, um noch mehr Betonflächen herzustellen, auf denen sie herumfahren, einen Arm aus dem offenen Wagenfenster, durch das der
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